Der 31.12.2014
Bericht des Chronisten OT Ahrensfelde, Paul Plume

Am Silvestertag 2014 trete ich um 9:04 vor die Haustür, um meinen alljährlichen Rundgang zu beginnen. Wir haben 3 Grad Celsius plus, von der nachweihnachtlichen Schnee-Überraschung (minimal minus 10 Grad Celsius!) ist nur noch Matsch übrig geblieben, es nieselt und ich müsste mir Scheibenwischer an die Brille montieren!

Diffuse Autogeräusche dringen an mein Ohr und die feuchtigkeitsgeschwängerte Luft wird mir noch manches Geräusch verstärkt zutragen. Im Hören auf die Flugzeuge habe ich mich entschlossen, in diesem Bericht das immer mit einen „F“ anzugeben, also auch jetzt: „F“.

Aus den Abgasrohren der Nachbarhäuser kräuseln sich Dampfwölkchen – klar, bei dem Wetter hat man es gerne warm im Haus. In den Regenrinnen murmeln Wasserbächlein bis sie in den Fallrohren verschwinden. Ganz von Ferne höre ich Hundegebell, das könnte vom Tierheim in Falkenberg oder vom Hundeverein aus der Nähe des GTHKW [Gasturbinen-Heizkraftwerk] herrühren.

Heute will ich eine Außensicht auf den OT Ahrensfelde vornehmen, das heißt ich versuche das Wohn-Areal zu „umlaufen“. Dabei schummele ich ein wenig, denn das ist ja nicht unsere Gemarkungsgrenze – die liegt weiter draußen in den matschigen Feldrainen – heute also bleibe ich lieber auf den Außen-Straßen oder halbwegs festen Wegen. Mal sehen, was einem bei so einer „Außensicht“ alles begegnen wird und was einem dazu alles an Erinnerungen einfallen wird. Das werden dann also mindestens zwei Ebenen: Die reale und die der Erinnerungen.

Jetzt biege ich in den Hafersteg ein, dessen Name, wie die anderen hier im kleinen Ahrensfelder Dreieck auch, nach einem Ideenwettbewerb durch die Gemeindevertretung bestimmt wurde. Sie folgten damals u. a. dem Vorschlag von „Erna“, die meinte, hier habe ja immer Korn gestanden, bevor gebaut wurde. Erna war die alte Bäuerin Frau Briesemeister. Gewohnt hatte sie mit ihrem Mann in der Dorfstraße und war dort – im gegenüber residierenden damaligen älteren „Amt Ahrensfelde Blumberg“ (im vorherigen Anwesen der letzten Ahrenfelder Schule) der gute Ordnungsgeist gewesen – ausgestattet mit vielen Neuigkeiten …

Mir knirscht der von Fa. Rahlf (Mehrow) – die waren ja neulich alsbald unterwegs! - reichlich ausgestreute Split in den Schuh-Profilen in den Ohren (und später hoffentlich nicht im Parkett), ein paar Schlittenspuren erkenne ich noch kurz vor der Bahn und erreiche den Jugendclub. Bis zum 5.1.2015 bleibt er noch geschlossen: „Das KiJuPa (Kinder- und Jugend-Parlament) trifft sich jeden 1. Montag im Monat im JC Ahrenfelde“, „Wir mischen mit!“ „Die nächste Sitzung ist am 5.1.2015“. Wie schnell doch das „Sitzungsdeutsch“ schon Eingang in die Jugendkultur findet!

Ich biege in die Ulmenallee nach Westen ein. Die Bürgersteige sing vorbildlich geräumt und hinter mir verebbt das Wasser-Platsch-Geräusch der Autoreifen.

Hier weiter oben wurde gerade wieder eine Familie beklaut. Die saßen fröhlich mit ihren Besuchern beim Kaffeetrinken im Wohnzimmer (Blick zur Straße ist möglich!) und da schleicht sich ein Dieb über die einsehbare Auffahrt in das von hinten unverschlossene Haus, wahrscheinlich bis in den Flur (d. h. nur eine Zimmertür trennt den Eindringling von der Familie) und klaut alles, was er greifen kann. Dreister geht es nicht!

Etwas weiter ist eine gute alte Nachbarin plötzlich an einer tückischen Krankheit verstorben. Wir haben sie immer als freundlich und offen erlebt. Und ihren Spitznamen haben wir auch in den Herzen behalten, sie war die „Hühnerfee“, weil sie lange Jahre in Mehrow in der KIM („Kombinat Industrieller Mastbetrieb“) gearbeitet hatte.

Und da kommt auch der „Erinnerungsfilm“: Ja, hier lebte der junge Mann vor 1989, dem ein Medizin-Studium verwehrt worden war und der dann zunächst Krankenpfleger wurde. Heute ist er ein wunderbarer Arzt geworden, leider weit weg …

Elster und Krähe – die ersten Vögel, die ich heute sehe – huschen durch das Geäst. Noch sind vereinzelt Weihnachtsdekorationen in den Fenstern. Dabei haben die Herrnhuter Sterne im Außenbereich durchaus eine gewisse Dominanz. „F“ um 9:20. Der letzte Schnee hängt noch auf den Sonnen-Kollektoren, von der Bahn höre ich den bekannten Warn-Ton, das Tor des Sportplatzes ist weit offen und ein schöner BWM biegt gerade dorthin ein. „F“.

Jetzt ist die Berliner Grenze erreicht und ich gehe unter der Hochspannungsleitung gen Norden voran. Diese Leitung soll letztendlich ein britisches Bombenflugzeug beim Abschuss 1944/45 gestreift haben, ehe es auf der Falkenberger Gemarkung nieder ging. Die britischen Angehörigen der Mannschaft kamen vor ein paar Jahren noch einmal an diese Stelle.

Eigentlich ist die Luft so nass, dass ich die 60.000 V knistern hören müsste, ist aber nicht so, sondern ganz deutlich höre ich die S-Bahn-Ansage bis hier her. Nun also, am Wende-Rondell auf in Richtung Fichtestraße. Ferne Böller und „F“. Dann verbellt mich ein kleiner schwarzer Hund aus den Parkwegen kommend und ich stapfe weiter. Der Sportplatz liegt noch unter einer makellosen weißen Decke, ca. 10 Meisen turnen im Geäst, der entgegen kommende junge Mann grüßt freundlich. Tja, „wo sind unsere Ahrensfelder Kinder“ nach 1989 geblieben? Immerhin ist es 25 Jahre her, dass wir mit Peter Hackbarth (unserem heutigen Ortsvorsteher) und anderen Bürgern vor die Tore des dort drüben gewesenen Objektes des DDR-Innenministeriums gezogen sind und Auskunft von dem VP-Offizier verlangten, was sich denn hinter seinen Mauern verberge „Giftgas? – Nein!“ Immerhin war das Riesen-Gelände von Häftlingen, die in Ikarus-Bussen (aus Hohenschönhausen?) herangebracht worden waren, erbaut worden. (Das ist alles ab 1990 wieder abgerissen worden!). Ich denke plötzlich, dass „die Kinder“, die davon gezogen sind, nicht in „unsere Häuser“ zurück kommen werden – sie gehen an anderen Orten der Welt ihrem Leben und ihrer Arbeit nach.

Schaut man ins Antlitz der Entgegen-Kommenden, findet man also nicht unbedingt ein Wieder-Erkennungs-Lächeln „Ach-Du-Bist-Das“, dafür aber Freundlichkeit. Eben wie diese Frau, die einen Karton mit Esswaren in der Hand balanciert. „Für die Kollegen!“ antwortet sie und ich wünsche etwas unpassend „Guten Rutsch“ – „Ja, Danke - ebenso!“ Einen Moment ist es sehr hell, die Sonne dringt fast durch und der Himmel leuchtet über dem Schnee wie Platin. Dort hinten winkt schon jemand und ich werde erkannt. Ein kleiner Plausch und ein Blick nach rechts, wo die mit dem Neubau im IV. Quartal so richtig Glück hatten, denn es hatte fast gar nicht geregnet und sie haben das Haus gut trocken behalten. Gleich weiter sind ein paar „Kinder“ in Ahrensfelde geblieben, haben nachdem sie erstmal Schulfreunde waren, geheiratet und wohnen hier. Und nochmal weiter ist das Gewerbe in der Hand des Sohnes geblieben und den gibt es immer noch und das Gewerbe auch!

Die nächsten „Kinder“ sind „weg“. Erstmal ging es mit Sprachreisen immer nach England, dann in die USA und letztendlich nach Hamburg als „Frau Studienrätin“ (natürlich für englisch). Der Bruder hat Maschinenbau für Autos studiert und ist auch weit weg bei dieser Sache geblieben …“F“.

Eine Joggerin zieht grußlos vorbei und ich grüße die nette Ahrensfelderin, bestelle Grüße für die Eltern aus Eiche „…die kommen jeden Moment zu Besuch …“. Der „Besuch“ war einmal einer unserer Ahrensfelder Lehrer, der aufrechten Ganges zu DDR-Zeiten den „Kindern“ viel Wissenswertes beigebracht hatte. Die 5 Meisen hier sind gleich verflogen und bei Hermann geht es „Mit 2 PS durchs Heimatland“. Hier hatten sie früher als Tierfreunde viel mehr Vierbeiner. Das haben sie jetzt alles an die Lindenberger Straße auf den Pferdehof verlegt. Aber ich erinnere mich, dass es eben hier auch mal einen Wildschwein-Frischling gab, der dem Mähdrescher entkommen war und nun liebevoll von Hand aufgezogen wurde. Irgendwann wurde der ein Halbstarker und richtiger Rowdy, der nur noch den Hausherren bei der Futtergabe respektierte bis die „Fress-Natur“ des Wildschweines durchschlug. Da wurde er ins Jenseits befördert und wahrscheinlich „verarbeitet“. Die „Kinder“ dieser Familie haben das alles mit in ihr Leben genommen und sind wohl gerne dabei geblieben, der Reiterhof ist ihre Aufgabe geblieben.

Die drei Krähen oben nehmen meine Gedanke in die Ferne (Vergangenheit) mit, denn gegenüber das schmuck verputzte Haus mit den schoko-farbenen Strukturen an den Ecken erinnert mich an die Ersteinweihung der von den Bürgern gebauten Wasserleitung. Hier wurden Schmalzstullen gereicht und auch der allerletzte Bestand an Spirituosen freigebig auf den Tisch gestellt. Alle tranken alles durcheinander bis zum Becherovka. Der Hausherr verschwand auf allen Vieren die Treppe hoch ins Haus und wir sind alle auch irgendwie heim gekommen. Das ist aber nun wirklich Geschichte! Die netten Enkeltöchter (also wieder „Kinder“) gibt es noch, aber weit weg: Die Juristin in Asien mit Mann und Kind, die IT-Spezialistin, Frau Doctor …. zwar nicht so weit, aber immer unterwegs zwecks Beratung höchstgestellter Gremien und Präsenz beim Chaos-Computer-Club usw. Da fragt man schon mal: „ Hast Du denn meinen (Chaos-)-Enkel dort getroffen und die Tochter der Nichte usw…?“ – „Ja, klar doch – tschüss – ich muss gleich weiter!“ Von ein paar weiteren „Kindern“ habe ich nur die vagen Informationen, dass es wohl auch ganz gut gehe – arbeiten geh`n müssen (und können) sie wohl alle, wenn sie nicht noch gerade zum Gymnasium gehen und uns beim Weihnachtsmarkt am Rathaus 2014 mit ihrer Schulmusik erfreuten.

An der Kleiststraße Nr. 36 haben sie die Hausnummer gleich zweimal und das auch ganz ordentlich angebracht, man weiß ja nie, ob man es beim ersten Mal Lesen gleich versteht? Sechs Krähen tummeln sich am Himmel und eine Amsel schimpft. Ich erreiche den Elektrozaun am Ende der Fichtestraße. Durchgehen kann man hier nicht mehr. Natürlich hatte auch die Schillerstraße ihre „Kinder“. Die beiden Mädchen hier zogen zur Ausbildung nach Berlin und wollen nun als Erwachsenen wieder zurück kommen. Hoffentlich gelingt das. Und die von der Schiller 9 sind alle weg: Hamburg, Bayern, Havelland und USA. Die Jungs von nebenan blieben dichter dran. Der von „um die Ecke“ hat Opas Haus übernommen und arbeitete sich in dieses Leben schrittweise ein. Und für manches erwachsene Paar ist es schon Geschichte, schließlich sind einige schon Grosseltern geworden, wie ich in einem Gespräch auf dem Weihnachtsmarkt neulich erfuhr. Und der kommunistische Genosse mit seiner CDU-Ehefrau ist auch weg gezogen. Immerhin hat er seinen Überzeugungen treu bleibend noch viele Jahre in der Gemeindevertretung nach der Wende mitgearbeitet und wurde von allen respektiert. So ist das eben in der Ahrensfelder Demokratie! Natürlich sind nun junge Gemeindevertreter in den Ortsbeirat und die Gemeindevertretung nachgerückt, neue Mitbürger, aus Berlin kommend – natürlich auch neue Politik-Profile, etwa der CDU, warum auch nicht. Aber die hauptsächliche Gründungs- und Gestaltungsgruppe im OT Ahrensfelde waren (und sind) die von der Freien Wählergemeinschaft Ahrensfelde. Sie hatten sich einmal auf die Fahne geschrieben, dass nicht die von außen kommenden großen Volksparteien mit ihren Ideen „uns überfremden“ sollen, sondern wir selber gerne unser Leben gestalten wollen. Das hat in diesen 25 Jahren gut geklappt. Sicher sind die heutigen Erfolge in Summe „Ahrensfelde“ zuzuschreiben, aber sie basieren im Ortsteil Ahrensfelde auf den Fundamenten dessen, was im OT ab 1990 beschlossen und realisiert wurde. Da man nun von der Riege der für den OT tätigen ehrenamtlichen Menschen immer nur das Beste fordert, bedenke ich, dass diese Menschen auch vielfach ihr Bestes gegeben haben, denn z. B.: Wer hat denn diesen wunderbaren Weihnachtsmarkt am Rathaus mit eigenen Händen organisiert, auf- und abgebaut… wer wohl?“ Der Chronist sagt ausdrücklich „Danke!“ Und wenn auch dieser Dank von Herrn Hackbarth in der Weihnachtsfeier der Ehrenamtlichen 2014 im Feuerwehrhaus Ahrensfeldes mit guten Worten ausgedrückt wurde, so wird er hier nochmals nieder geschrieben: „ Danke, Euch allen! “ Dies ist und bleibt sodann auch die Verpflichtung für die „Neuen“ an ihren Ortsteil zu denken, denn wenn es allen Einzelnen gut geht, geht es auch in Groß-Ahrensfelde gut!

So bunt wie das politische Leben sind auch nun die Fassaden der Reihenhäuser im Bereich Schillerstraße (ehemals Intech). Mir bläst mittlerweile der Westwind von hinten in den Kragen und die Statuen aus Fern-Ost hier im Vorgarten müssten auch frieren, die „Kinder“ der Familie sind in den warmen Landen geblieben. „F“. Ein Nachbar grüßt freundlich, sein „Kind“ – Sohn blieb hier und baute nebenan – fleißige Leute! Derweil bin ich in die Lindenberger nach rechts eingebogen. Dort wo früher das „Katzenhaus“ (der alte Herr, der da wohnte, lebte mit -zig Katzen zusammen) stand, wird nun auch neu gebaut, in 2015 wird sicher eingezogen.

Als ich den Neuschwanebecker Weg (Richtung Bundespolizei) erreiche, höre ich wieder Hundegebell, diesmal wirklich aus der Richtung des GTHKW. Eine Joggerin kommt mir entgegen. Der schnurgerade Radweg ist schnurgerade geräumt. Von der Reithalle her weht der Wind noch Holzbrand-Geruch herüber. Die beiden Schornsteine des GTHKW stehen schemenhaft im Nebel. Heute wären sie schwerlich das sichtbare Zeichen aus der Achse der von Norden kommenden Autobahn: „Da sind wir bald zuhause!“ Rechts hat die Firma ARETA ERDSTOFFE riesige Erdwälle in der Kompostieranlage aufgetürmt. Zum Märchen­wald links führen nur einige Fußspuren durch den Schnee.

Ich bräuchte jetzt fast einen Scheibenwischer auf der Brille. „F“. Riecht es hier nach Öl aus Richtung des GTHKW? „F“. Am weiteren Wegesrand erhebt sich ein großer Baum als Graphik vor dem steingrauen Himmel, die Ackerfurchen sind bis in den Horizont gerade wie mit dem Lineal gezogen. Eine Amsel huscht vorüber und ich ahne im Nebel die Dächer von Neulindenberg. „F“. Die nächsten Amseln sitzen frierend und aufgeplustert im Gebüsch. Hier, der erste Schlehenweg führt hinüber nach Neu-Lindenberg. Einen Moment ist es ganz still, nur die eigenen Füße trapsen. Jetzt bin ich „oben“ im Gelände bei den Sperrventilen. Gegenüber noch ein Hagebuttenstrauch und an jedem Straßenbaum eine Plakette des Baumkatasters – ordentliches Deutschland! Dafür schlängelt sich sogar der Radweg um die alten Bäume. „F 10:30“. Natürlich gibt es auch Schilder (nicht nur Baumpilze!): 2. Reiterweg, 3. Weg nach „Neu-Lindenberg 0,7 km“, und dazwischen noch einen Schlehenweg. Der nächste Schlehenweg ist durch Steine versperrt. An der Eiche macht die Straße einen Bogen nach rechts. Die Joggerin im orangenen Trikot grüßt freundlich: „Gutes Neues Jahr für morgen!“

Hier hört (und sieht man in der Ferne) die Autobahn! Mir fallen derweil die Tropfen aus dem Baum direkt auf das Notizblatt (es durchweicht zunehmend!) und ich respektiere das Schild „Übungsgelände, Betreten verboten“, denn ich wende mich in Richtung der Kanaltrasse und dann zur „Bundespolizeifliegerstaffel“ (deren Windhose hängt schlaff herab) und dann in Richtung der „Bundespolizeidirektion Berlin“, deren Chef der „Leitende Ober-Polizeidirektor“ ist. Der untersteht dem Bundesinnenminister usw. Dabei ist er ein kluger und guter Redner, wie wir bei dem Weihnachtskonzert des Bundespolizeiorchesters in der da drüben liegenden Sporthalle erleben konnten. Die Einladung erging durch unseren Bürgermeister, Herrn Gehrke und so nebenbei erfuhren wir auch Einiges über die Einsätze der Bundespolizisten. Aber die waren heute wohl alle im Urlaub, denn auf dem Parkplatz standen ganze drei Autos. Anders vor Jahren, als noch in der Kaserne gleich links der Einfahrt ein Aufnahmeheim für aus Russland kommende Menschen jüdischen Glaubens war. Die wollten zwar allermeist gleich weiter nach Israel, aber im Moment brauchten sie auch mal Kontakt nach außen. Und so machte sich Pfarrer Müller aus Ahrensfelde mehrmals auf, um sie zu besuchen und ihnen ein paar Sachen zu schenken. (Er besuchte auch andere Flüchtlinge bis weit ins Land hinein in ihren Not-Heimen). Aber „diese Welle ist durch“ und das ist schon Geschichte. Leider sind weiterhin Menschen auf der Flucht und wir werden ihnen wieder helfen wollen und müssen, das wird dann eine Geschichte des Jahres 2015.

An der großen Eiche, wo die Wendeschleife ist, könnte ich in den ungepflegten Wald abbiegen, will ich aber nicht. Ich folge weiter dem Beton-Radweg, links der exakte Objekt-Zaun (natürlich oben mit Stacheldraht) und irgendwo da vorne dann der Bahnübergang. Weit hinter mir zwei schemenhafte Menschen-Gestalten im Nebel – was die wohl voran treibt? „F“. Die Treppen am Übergang sind gut gebaut, ich werfe einen Blick in die fertige Bahnstraße und dann nach links in den Fußweg zum Blumberger Gewerbegebiet, gehe aber weiter „Am Walde“ entlang. Ein letztes Mal bringt ein Opel-Auto Werbung in diesem Jahr.

Rechts biegt dann die verlängerte Friedensstraße durch den Wald ab. Was gab es da für ein Theater, als an einer Eiche Gespinste des Eichen-Prozessions-Spinners gesichtet wurden. Die dann aufgestellten Schilder sollten warnen und verhindern, dass man sich in diesen Privatwald hinein begibt. „Verhindern“ kann allerdings nur die Vernunft.

Mittlerweile sind meine menschlichen Schemen als zwei Spaziergänger aus Neu-Lindenberg erkennbar und ansprechbar und wir unterhalten uns eine Wegstrecke lang über das Ahrensfelde der 5 Ortsteile. „Wir leben gerne hier (seit 1993) und beste Grüße aus Neu-Lindenberg an die Nachbarn im OT Ahrensfelde!“ Ich bedanke mich gerne. Hier, am Ende unseres OT ist eine französische Flagge auf einem Grundstück aufgezogen. 2006 war es eine Flagge des US-Bundesstaates Iowa. Was trug wohl zur Veränderung bei?

Entlang der Betonplatten-Wand (das war früher mal ein Materiallager der Stasi!) führt mich der geschotterte Rest- Feldweg zur B 158 vorbei an einer leeren Sektflasche, die schon mal als Startrampe für Raketen am Abend in das Erdreich eingelassen ist.

Denke ich von hier aus in die Siedlung hinein an die „Kinder“, so traf ich neulich deren einen am Heiligen Abend in der Kirche. Er hatte eine Begabung zum Fabulieren und Texten. Damit ging er nach Berlin und wurde Stadtführer. Seine Schwester lebt noch in Ahrensfelde. Und dann die dazugehörigen Altersgenossen: Mittlerweile bilden sie, sofern sie in Ahrensfelde verblieben, die ansässige mittlere Generation, machen bei Grün-Weiss mit oder/und führen die eingesessenen Betriebe der Eltern unter gleichem Namen weiter. … Dieser wurde Fernfahrer, seine Schwester Krankenpflegerin oder die andere arbeitet mit Kindern … Aber viele sind eben auch hinweg gezogen.

Nun geht es die B 158 bergauf. Links ist der Meilenstein nach „Berlin 2 Meilen“, gemeint sind preussische, das reicht von hier aus genau bis zum Amt Mühlenbeck kurz hinter dem roten Rathaus über Weißensee. Rechts die Tankstelle mit dem 6 beinigen Löwen – E 10 kostet heute 1,23 €/Liter – das könnte mal so bleiben! Nach Mehrow rüber könnte man den Kirchturm sehen wie auch den von Eiche, auf dem Acker wächst Futter oder Raps (da müsste man den Bauer Jürgen Bree aus Mehrow fragen) und rechts Wintergetreide. Der alte Birnbaum steht rechts noch, eine Brandenburg-Flagge winkt herüber und die neuen Chausseebäume machen eine gute Figur. „F“ und der Ton der Bahn um 11:20 in Richtung Blumberg ist dreimal zu hören. Ich bräuchte mal wieder einen Scheibenwischer für die Brille, nach dem Wischen mit dem Tüchlein werden die Sanddornbeeren in der Hecke entlang der B 158 auch nicht heller. So, jetzt bin ich wieder am Ortseingang, links stehen die beiden Sportbusse auf der Tankstelle und mir kommt Rotkohl-Duft in die Nase. Das kann da von geradeaus von Familie R. kommen oder von drüben, von dem Inder …nicht umsonst heißt er „AROMA“. Jedenfalls strahlt die Hauswand ein wenig Wärme ab, ich will aber noch in die Mehrower Straße, denn die Jauertsche Siedlung gehört ja zu uns. Vorbei an der alten Schmiede (Störche sind übrigens hier nicht mehr gesichtet worden), vorbei an der Werkstatt, wo eine Trabi-Reparatur auch teilweise mit Naturalien bezahlt werden konnte, „F 11:55“ rechts über den Hundepfad in Richtung Wuhle, denn die Straße nach Eiche hat keinen Fußweg! Glaubt man der Flurkarte von 1846 (wir haben sie noch!) ist hier die Wuhlequelle, aber das wird nur eine von mehreren gewesen sein, viel Wuhlewasser kommt ja schon aus dem Ostkirchhof. In diesem Moment höre ich Glockengeläut. Nein, es sind nicht die Ahrensfelder, sondern die Eichner Glocken, die zum Innehalten einladen. Von weitem winken wir uns zu: Der Mann mit Hund und ich und durch die zum Schalltrichter geformten Hände: „Nachher Gutes Neues!“ „Danke, Gleichfalls!“. Die Wuhle ist gut mit Wasser gefüllt. Die Gartenstraße wird immer mal geschoben, so kann man hier gut laufen und der Blick zum Dorfkern ist immer noch fast historisch. Hoffentlich finden die mit der Umgehungsstraße doch noch die andere Trasse (Var.1 zwischen der Ortsteilen) richtiger, als dass sie hier die sogenannte Trog-Variante bauen, die nun nach dem letzten Zeitungsbericht ja viel zu teuer wird (haben wir ja immer gesagt und geschrieben)! Also: Ein Blickgruß zur alten Eiche dort drüben ist immer noch möglich!

Zum Glück sind „Kinder“ (und deren Kinder) dieser Siedlung in unserer Nähe geblieben. Denn auf diese Weise haben wir ihre musikalische Kunst in mehreren Generationen behalten können. Der Jüngling, der mit seiner Bassgitarre beim Village-Rock im alten Schulsaal die Erde beben ließ, spielte am Heiligen Abend 2014 beim Konzert mit, zusammen mit der Cello-Schwester und der Flöten-Großmutter und allen anderen der Familie bis hin zur jüngsten Harfen-Spielerin, die souverän ihre Kunst vortrug und den anderen mit Violinen und Gesang … Der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates (Jörg-Arno Zilch, selbst ein Posaunenspieler) meinte, dass dies auch zum nächsten Weihnachtsfest unverzichtbar wäre - großer verpflichtender Dankes-Applaus!

Also vorbei an den drei alten DDR-Autos im Garten und ein Rückblick auf den Besuch des Zirkus Barlay. Der aktuelle Herr Barlay freute sich, als ich ihm erzählte, dass ich in meiner zerstörten Heimatstadt Frankfurt (Oder) etwa 1947 diesen Zirkus als Kind besucht hatte.

Hier erreiche ich am „KinderKuppel-Bau“ die Berliner Stadtgrenze, gehe aber nicht entlang der Feldstraße, nicht zum Dorf, wo man noch „die alte Post“, also das Haus mit dem verlassenen Döner-Imbiß sieht, sondern gleich wieder in die Klandorfer Straße an der Wendeschleife der neuen 5-gliedrigen Straßenbahn M 8 vorbei. Die fährt zum Nordbahnhof. Was, zum Nordbahnhof? Da habe ich ab 1965 bis 1985 in der Nähe gearbeitet. Man fuhr mit dem 46er Bus nach Weißensee und dann mit der 70 bis dorthin! Zur Charitè kam man auch so. Und mit dem Wartburg am 10. November 1989 nach der denkwürdigen Nacht nach Feierabend (es war ein Freitag!) eben bis dort und dann „über die Grenze“: „ Kommen Sie doch bitte hier entlang, hier geht es nach Westberlin …“ rief der Grenzoffizier der Staatssicherheit den vielen Menschen zu und winkte uns und anderen Ahrensfeldern, die wir trafen und Tausenden zu. Dann fuhren wir U-Bahn, waren bei Karstadt und später am Bahnhof Zoo und dann irgendwann wieder im dunklen Osten …

Am 8. November 2014 kamen wir nachts den nördlichen Ring entlang, setzten spontan den Blinker und fuhren über Tegel in die Stadt, ganz selbstverständlich, kamen an die Ballon-Meile zum Nordbahnhof, gedachten der „Kinder“ die jetzt andere Welten erobert haben und fanden, dass es uns gutgeht!

Unter der Hochspannungsleitung schummele ich ein bisschen mit meinem Rundweg und biege schon bei Norma am Männertreff zur Dorfstraße hin ab, vorbei am Hof der ehemaligen Familie Lusche, wo deren „Kinder“ nach einem wunderbaren erhaltenden Sanierungs-Umbau den Hof für Gäste offenhalten, hinüber zum Kleinen Ahrensfelder Dreieck. Noch einmal treffe ich einen netten Neubürger, den ich aus Berufszeiten her kenne. Wir grüßen uns. Ja, diese Menschen waren und sind willkommen, einige haben schon wieder große Kinder, die ich gerne grüße und höre, dass sie studieren und ihr Ding machen. Für deren Kinder wiederum hat die Gemeinde 2014 einen schönen Spielplatz am Wuhleweg errichtet und so bürgern sich alle langsam ein. Demnächst tritt wieder das KiJuPa zusammen, irgendwann haben wir neue Nachbarn, vielleicht sogar Flüchtlinge bei uns. Das wäre es doch, wenn sich alle weiterhin hier wohlfühlen und einwurzeln.

Das wünscht seinen Nachbarn, auch denen in den anderen Ortsteilen,
der Chronist des OT Ahrensfelde. Paul Plume


Der Beitrag wurde uns freundlicherweise von Paul Plume, Ortschronist in Ahrensfelde, zur Verfügung gestellt.
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