Als Anfang der 50er Jahre nicht nur in den Industriebetrieben die Normen hochgesetzt wurden (was letztlich zum Aufstand am 17. Juni 1953 führte), sondern auch für die Bauern die Abgabeverpflichtungen ständig erhöht wurden, haben viele alles hingeworfen und sich "davongemacht". Das große "Bauernlegen" begann.

Insbesondere für größere landwirtschaftliche Betriebe wurden die abzuliefernden Mengen so hoch geschraubt, daß kaum noch Kapazität für "freie Spitzen" bliebt, also kaum etwas vom Erarbeiteten selbst konsumiert oder zum eigenen Vorteil veräußert werden konnte. Das machte den "Groß"-Bauern auf die Dauer keinen Spaß, weshalb diese nach und nach alles hinwarfen und das Weite suchten, was in der Regel im nahe gelegenen Westberlin lag ...

Ob das von staatlicher Seite in jedem Fall bedauert wurde, ist fraglich, da doch die devastierten (d.h. von ihren Besitzern verlassenen) Betriebe Keimzellen für die künftigen LPG'en darstellten. Manche der verlassenen Betriebe (wie Meißners Hof in Mehrow) sind gleich einer LPG zugeordnet worden (in diesem Fall der LPG "Karl Liebknecht"), andere (Thürlings Hof in Mehrow) wurden zunächst der "Örtlichen Landwirtschaft" zugeordnet.

Die Örtlichen Landwirtschaftlichen Betriebe (ÖLB) waren so eine Art Auffanggesellschaft für all das, was in dieser Zeit des permanenten Zu- und Wegganges übrig blieb: verlassene Betriebe, Land das keiner haben wollte, Besitz von Inhaftierten usw.

So bunt gemischt und qualifiziert wie die in den ÖLB vereinigten Betriebe waren aber offenbar auch die Leute, die diese Betriebe leiten sollten, wie weiter unten sichtbar wird ...

In Mehrow wurde am 1. Dezember 1953 eine ÖLB gegründet, die zunächst im Wesentlichen aus dem devastierten Betrieb Thürling bestand. Die Bestandsaufnahme sah wie folgt aus:

               B e s t a n d s a u f n a h m e   
für den Betrieb der Örtlichen Landwirtschaft in M e h r o w
                       
Per 1.12.1953



I. Zusammensetzung des Betriebes

a) Betriebe nach der Verordnung vom 19.2.53 (devastierte Betriebe)
   Name           Vorname      Gesamtfläche  landw.gen.Fläche  ...
   Thürling       Adolf        45,28 ha 41,15 ha

b) Betriebe nach der Verordnung vom 17.7.52 (Republikflüchtig)
   Name           Vorname      Gesamtfläche  landw.gen.Fläche  ...
   kein Eintrag

c) freie Bodenreformflächen (letzter Eigentümer)
   Name, Vorname               Gesamtfläche  landw.gen.Fläche  ...
   Arndt, Erna                 9,43          7,59
   Jung, Albert                5,80          4,31
   Spiedt, Frieda              4,97          3,36
   Mantei                      6,18          4,61
   Achtelstätter, Max          8,01          5,54
   Spitzer, Gustav             7,21          5,70

d) volkseigene Flächen (Enteignung, ehemaliges Gemeindeland)
   --- Entfällt ---

e) alle sonstigen freien Flächen (Kirchenland, Westeigentum usw.)
   --- Entfällt ---


...

II. Allgemeine Angaben

A) Äussere Verkehrslage:
                   4 km zum Verschiebebahnhof Ahrensfelde
   darunter        4 km befestigte Strasse
   Nächste Stadt: 13 km entfernt, Name der Stadt: Bernau
   darunter        9 km befestigte Strasse
   Nächste BHG:    3 km in Ahrensfelde
   Nächste MTS:   16 km in Werneuchen

B) Innere Verkehrslage
   Die Lage der Felder ist:    zerstreut
   Mittlere Schlagentfernung:  2.500 m
   Weiteste Schlagentfernung:  5.000 m
   Nächste Schlagentfernung:     100 m

C) Landwirtschaftliche Nutzfläche: 72,26 ha
Damit hatten die ÖLB schon mal zwei größere landwirtschaftliche Betriebe als Standbein.
Weitere Detail über die Struktur der ÖLB in Mehrow lassen sich dem am 14. April 1954 aufgestellten Produktions- und Finanzplan entnehmen:



Nach den Angaben in diesem Formular setzte sich die ÖLB 1954 aus
  • 11 Betrieben aus dem Bodenfond (57,26 ha LNF bei 75,17 ha Gesamtfläche) und
  • 2 Betrieben aus Privateigentum (68,35 ha LNF bei 74,40 ha Gesamtfläche)
zusammen.

Die Belegschaft bestand aus 8 nichtselbständigen Arbeitskräften (2 Männer, 4 Frauen, 2 Jugendliche) - als Soll waren 21 ständige Arbeitskräfte (8 Männer, 13 Frauen) angegeben.

Die Gesamtfläche des Betriebes betrug ca. 150 ha, wovon ca. 116 ha Ackerland, und etwa 19 ha Wald waren. Den größten Anteil an der Restfläche hatten die Obstanlagen mit 5,46 ha.

Anzahl und Zustand der Gebäude (per 14.4.1954) sind wie folgt ausgewiesen:

 Art der Gebäude Anzahl   Fassungsvermögen   Bemerkungen (baulicher Zustand)
 Rindviehställe 2 26 Stück Vieh   gut
 Schweineställe 2 20 Stück Vieh   schlecht
 Pferdeställe 2 12 Stück Vieh   gut
 Geflügelställe 1 100 Stück Vieh   gut
 Scheunen 2 6196 cbm   in Ordnung, Dach repariert
 Speicher 2 60 qm   in Ordnung, Dach repariert
 Maschinenschuppen 2 55 qm   in Ordnung, Dach repariert
 Keller 3 267 qm   gut
 Dungstätten 2 192 qm   gut
 Jauchegruben 2 18 cbm   gut
 Wohngebäude 3 5 Wohnungen 
17 Zimmer 
 gut

Unterschrieben war der Produktions- und Finanzplan für 1954 u.a.

Für den ÖLB von
  • Betriebsleiter Baumgarth
  • Buchhalter Gottschalk
  • BGL-Vorsitzender W. Piepenburg
Für den Rat der Gemeinde von
  • Bürgermeister Buhr
  • Gemeinderat Binder

Beigefügt war eine Begründung, warum ein offenbar überdurchschnittlich hoher Stützungsbeitrag je Hektar gefordert wird:

Erläuterungen zum Antrag auf Gewährung eines Stützungsbeitrages
                                           von 474.- DM [je ha]
---------------------------------------------------------------
...

Die Aufstellung unseres Finanzplanes ist nach sparsamster Berechnung unter Berücksichtigung des uns aufgegebenen Viehhalteplanes erstellt worden. Der Viehhalteplan kann aber nur eingehalten werden, wenn uns die nötigen Mittel zur Anschaffung der Tiere zur Verfügung gestellt werden. Mit den vorhandenen Tieren läßt sich die Erfüllung des Soll und die Verpflegung der Belegschaft nicht durchführen.
Durch Vergrößerung des Viehbestandes ist aber die Erfüllung des Soll, Verpflegung der Belegschaft und darüber hinaus freier Verkauf gewährleistet.

Die hohen Löhne, Kosten für Reparaturen und Anschaffungen begründen wir damit:

Zu unserem Betrieb gehören 5.46 ha Obstplantage. Diese Plantage war im vorigen Jahr nicht in unserem Besitz. Eine ordnungsgemäße Pflege wurde nicht vorgenommen, sodaß wir in diesem Jahr nur durch Einstellung von Fach- und Hilfskräften und intensivste Bearbeitung die Plantage wirtschaftlich rentabel gestalten können. Der Erfolg für die diesjährige zusätzliche Lohnbelastung wird sich durch größere Obsternte zeigen.

Die von den devastierten Betrieben übernommenen Gebäude, Maschinen, Transportmittel und Geräte sind zum gößten Teil durch vorherige jahrelange Inanspruchnahme reparaturbedürftig und die laufenden Reparaturen sind aus Gründen der Werterhaltung unbedingt erforderlich.

...

Faßt man alles zusammen [Einnahmen: 62.000,-, Ausgaben: 133.000,- DM], so ergibt sich die zwingende Notwendigkeit eines Stützungszuschusses von 474,- DM pro ha.



Gefunden im Kreisarchiv Barnim unter "Bernau Ke 285-13/1 (Lawi)"

Wie es aussieht, hat aber der Rat des Kreises nicht einfach der finanziellen Forderung zugestimmt, sondern ersteinmal eine Komission nach Mehrow geschickt, deren Urteil ziemlich niederschmetternd ausfiel, wie sich in einer anderen Akte nachlesen läßt:

Rat des Kreises Bernau                    Bernau, den 24.4.1954
Abt. Landwirtschaft                       Breitscheidstr.
Ref. ÖLB                                  Telefon: 461/63, App.01


Betr.:
Überprüfung des Betriebes der örtlichen Landwirtschaft
       M e h r o w

Am 21.5.1954 wurde vom Abteilungsleiter der Abteilung Landwirtschaft beim Rat des Kreises Bernau eine Überprüfung des örtlichen Landwirtschaftlichen Betriebes Mehrow empfohlen.
...
Der Zustand der örtlichen Betriebe selbst bot einen trostlosen Anblick. Ein durch Stützungsgelder des Staates eingerichteter Betrieb sollte ein Musterbetrieb für das ganze Dorf sein. Man erhält aber den Eindruck, als sei der derzeitige Verwalter den Anforderungen nicht gewachsen.
...
Im Hof und in 2 Kellern fanden wir, nach Abschluss des Kartoffellegens noch ca. 20.- dz Kartoffeln vor, wovon im Hof schon ein Teil Kartoffeln gesackt waren und wir den Eindruck hatten, der Bestand werde immer weniger. Dem Bürgermeister wurden noch ca. 20.- dz zur Verfügung gestellt zur Verteilung als Saat.

Der
Bauer Irrgang erhielt vom Betriebsleiter Baumgart 18.- dz Kartoffeln zur Saat, der Bauer Ehlert erhielt Kartoffeln zur Saat (Menge konnte nicht ermittelt werden). Auch andere Bauern der Gemeinde sind vom Betriebsleiter Kartoffeln angeboten worden.

Von den 15 Milchkühen werden täglich pro Kuh 4 Liter Milch abgeliefert. Im Kuhstall selbst ist seit langem die elektrische Beleuchtung defekt und
wird bei Kerzenlicht die Arbeit verrichtet.

... Die Schweine selbst machten einen verhungerten Eindruck. Nach Rücksprache mit der Futterfrau werden für 41 Schweine täglich 4.- kg Kleie gefüttert. Trotzdem gab der Betriebsleiter eine Kleieanweisung über 1 to Kleie zurück. Auf Berechtigungsschein hat der Betrieb von der BHG Ahrensfelde noch ca. 8 Zentner Kleie zu erhalten, die aber in der BHG nicht vorhanden sind. Die in Mehrow vorhandene Mühle hat Kleie und liefert auch nach ausserhalb. Eine Belieferung der örtlichen Betriebe im Ort selbst erfolgt aber nicht.

Die Umzäunung der in freier Luft gehaltenen Schweine ist sehr primitiv, sodass 41 Schweine ausbrachen und in die Saat flüchteten.

Die Sauberkeit in den Höfen lässt viel zu wünschen übrig. Auch kann von mangelnder Aufsicht gesprochen werden. Fast täglich schläft in einer Oberstube ein betriebsfremder Mann, der bei dem früheren Besitzer beschäftigt war und z.Zt. keiner Arbeit nachgeht.

Die Unterkünfte der ledigen Arbeiter wurden besichtigt und machten einen völlig unsauberen Eindruck.
Alle Unterkünfte waren total verdreckt, Bettwäsche in einem Raum nicht vorhanden, auf dem Kleiderschrank standen dutzende leerer Schnapsflaschen.
In einer Stube, worin 1953 die Erntehelfer untergebracht waren, lag noch das Stroh und der Schmutz von 1953.

Miete wird von den ledigen Arbeitern keine erhoben. Die Arbeitszeit Jugendlicher wird nicht eingehalten, 15 jährige werden wöchentlich 48 Stunden beschäftigt.

In 2 Räumen wurden Maschinenersatzteile, Autodecken und 1 Trecker (bereift) vorgefunden, die dem Verfall preisgegeben werden.

Auch werden die Arbeitsschutzbestimmungen nicht eingehalten. An der im Hof stehenden Kreissäge ist keinerlei Schutz angebracht.
Ebenso ist am Anschlußkabel zur Häckselmaschine kein Stecker und werden zwei Drahtenden ohne Schutz in die Steckdose gesteckt.
Ein Schutzkasten am Motor fehlt, beim Häckselschneiden stieben die Funken in der Scheune umher, wo Berge von Stroh liegen.

Nach Aussagen der Arbeitsleute soll der Betriebsleiter mehrmals in der Woche nachts um 2.00 Uhr mit Pferd und Wagen nach Hause kommen. Bis zum anderen Morgen bleibt das Pferd im Geschirr stehen und wird dann wieder zur Ackerbearbeitung angespannt (Tierschutz).

Im allgemeinen hatten wir den Eindruck, dass der Betriebsleiter der Leitung des Betriebes nicht gewachsen ist. Von Sparsamkeit, Sauberkeit und Ordnung kann hier nicht gesprochen werden.

Gefunden im Kreisarchiv Barnim unter "Bernau Ke 291-13/1 (Lawi)"

Gut eine Woche später kam nach Thürlings Hof ein zweiter Mehrower Bauernhof hinzu. Willy Meißner war Anfang 1953 "geflitzt" und hatte seinen Hof mit allem "Drum und Dran" zurück gelassen. Diesen Hof hatte zunächst die LPG "Karl Liebknecht" übernommen oder richtiger: unter Inanspruchnahme dieses Hofes hatte sich die LPG gebildet.
"Karl Liebknecht" mit seinen inzwischen nur noch wenigen (3 ?) Mitgliedern war aber mit Meißners Hof reichlich überfordert und hat diesen im Dezember 53 an die ÖLB übergeben:

                                             Mehrow, den 8.12.53 
                 P r o t o k o l l 
                     -.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-

An Hand der Bestandsaufnahme v. 15.2.53 - unterschrieben von dem damaligen Bürgermeister Heinz Wegener und gleichzeitigen LPG Vors. wurden die einzelnen Inventarien überprüft, berichtigt und verglichen. Da einzelne Gegenstände (tot. und lebend.Invent.) nicht vorhanden waren (vieles verbraucht, entnommen etc.) wurde der tatsächliche Bestand wie folgt aufgenommen.

Bei dieser Aufnahme war die LPG durch ihren Vors.
                  Friedr. Weiland u. Mitglied Kurt Kaiser
öLB Koll.         Franz Kellig, Vorreau,
Heinz Baumgarth
Rat der Gemeinde Mauer 
vertreten. Die ehem. Wirtschaft wurde aus folgenden Gründen von der LPG abgegeben.
Durch Verminderung der Mitglieder ist eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung nicht gewährleistet, ausserdem liegen die Flächen zu zerstreut.    

    --- es folgt die Auflistung des übernommenen Inventars ---   

Die Räume sind in ordnungsgemäßen Zustand zu bringen und zwar in Zusammenarbeit mit LPG und ÖLB, um eine geordnete Übergabe zu gewährleisten. Termin 10.12.53
Sämtliches Inventar geht in den Besitz der ÖLB über. Über fehlendes tot. und lebend.Inventar hat die LPG Rechenschaft abzulegen. Die Fehlbestände sind protokollarisch festzuhalten. Stroh und Kaff bleiben auf dem Gehöft. Die Räume sind von den Getreidevorräten zu räumen, ansonsten die Futtervorräte den örtl. landw. Betrieben zufallen. Entsprechende Papiere, Grundbuchakten, Feuerversicherung etc. über Gebäude einschl. tot. und lebend.Inventar sind gleichfalls am 10.12. vorzulegen.
Der Zustand der Gebäude ist als recht ordentlich zu bezeichnen. Grössere Reparaturen sind nicht notwendig. der Zustand der Obstplantage ist stark verunkrautet, Baumbestand im allgemeinen gut.
...
Termin der Übergabe 10.12.53
Gefunden im Kreisarchiv Barnim unter "Bernau Ke 174-10/1 (Lawi)"

Bald danach, im Juni 1954, ist in Mehrow die LPG Typ III "Morgenrot" gegründet worden, die mehrheitlich das Land und Inventar der ÖLB übernommen hat. Wann die ÖLB dann ganz eingestellt wurde, haben wir noch nicht festmachen können - Fortsetzung folgt also.