Bei Gesprächen und im Schriftwechsel mit ehemaligen Mehrowern kommt immer wieder mal die Sprache auf Kriegsgefangene, die während des zweiten Weltkrieges interniert waren.

Beim Stichwort "Kriegsgefangene" fallen einem sofort Gefangenenlager ein, die umzäunt und stark bewacht dazu dienten, gegnerische Soldaten unter mehr oder weniger üblen Bedingungen festzuhalten, um sie im besten Falle später gegen eigene Leute eintauschen zu können. Wenn man selbst erst viele Jahre nach dem Krieg geboren wurde, ist man überrascht zu erfahren, daß es zumindest in unseren Breiten auf dem Lande anders aussah. Hier in Mehrow gab es im letzten Krieg einige, wohl ausschließlich französische Kriegsgefangene, die in der sogenannten "Schnitterkaserne" untergebracht waren (das ist die jetzige Dorfstraße 19, wo viele Jahre die Gemeindeverwaltung saß und sich zuletzt der "Mehrower Mini Markt" befand). Diese Kriegsgefangenen arbeiteten auf dem Restgut bzw. auf den Siedlerstellen im Ort.

Viele der Siedler waren selbst im Krieg und Arbeitskräfte waren knapp, weil der "Führer" es für sinnvoller erachtete, fremde Länder zu erobern, statt eigene Äcker zu bewirtschaften. Da ließ sich hier wie anderswo mancher Landwirtschaftsbetrieb nur durch den Einsatz von Kriegsgefangenen am Leben erhalten, die auf die Dörfer verteilt und gegen Entgelt an die Bauern "vermietet" wurden.

Rein formell gehörten sie vermutlich einem Lager an und die Bauern, bei denen sie beschäftigt waren, mußten für jede Arbeitskraft einen bestimmten Betrag an die Lagerverwaltung bezahlen und die eingesetzten Kriegsgefangenen versorgen.

Diese arbeiteten tagsüber auf den Höfen und waren nur nachts zusammen untergebracht. Eine richtige Bewachung gab es wohl nicht, aber es gab ja hier, weit weg von der Front, für einen Fremden auch kaum eine Möglichkeit, sich davon zu machen.

Seitens der Behörden gab es klare Anweisung, daß jeder persönliche Kontakt zu den Kriegsgefangenen zu unterbleiben hat. Es durfte nur mit ihnen gesprochen werden, wenn der Arbeitseinsatz dies erforderte und gemeinsames Essen oder Feiern sowie sonstige Kontakte waren strikt verboten. Entsprechende Dokumente, die z.B. im Bundesarchiv zu finden sind, enthalten darüber hinaus Vorschriften dazu, wie Gefangene verschiedener Nationalitäten zu trennen und entsprechend ihrer Herkunft zu behandeln sind - behördlich vorgeschrieben wurden den französischen Kriegsgefangenen mehr Freiheiten zuteil, als den sowjetischen ...

Abschrift aus dem Reichsgesetzblatt Teil I vom 17. Mai 1940
Nr. 86, Seite 769

Verordnung über den Umgang mit Kriegsgefangenen
vom 11. Mai 1940

Auf Grund des § 4 der Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes vom 25. Nov 1939 (Reichsgesetzblatt I S. 2319) wird im Einvernehmen mit dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht verordnet:
§ 1
(1) Sofern nicht ein Umgang mit Kriegsgefangenen durch die Ausübung einer Dienst- oder Berufspflicht oder durch ein Arbeitsverhältnis der Kriegsgefangenen zwangsläufig bedingt ist, ist jedermann jeglicher Umgang mit Kriegsgefangenen und jede Beziehung mit ihnen untersagt.
(2) Soweit hiernach ein Umgang mit Kriegsgefangenen zulässig ist, ist der auf das notwendigste Maß zu beschränken.
§ 2
Die Verordnung tritt drei Tage nach ihrer Verkündigung in Kraft,

Berlin, den 11. Mai 1940

Der Reichsminister des Innern,
In Vertretung H. Himmler
Quelle: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Akte NS 25 / 1404
"Beschäftigung von Kriegsgefangenen, insbesondere in der Landwirtschaft (1939-43) ...", Nr. 66

Partei-Kanzlei
Vertraulische Information, Beitrag 627
3. Juli 1942

Merkblatt "Verhalten gegenüber Kriegsgefangenen"
Oberkommando der Wehrmacht, Az 2 f 24. 71 c Kriegsgef. Allg. (1a)

Die Kriegswirtschaft erfordert den Einsatz aller zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte. Deshalb werden die Kriegsgefangenen in vollem Umfang in den Dienst unserer Wirtschaft gestellt.
Kriegsgefangene müssen so behandelt werden, daß ihre volle Leistungsfähigkeit der Industrie und Ernährungswirtschaft zugute kommt. Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Ernährung; dieser muß eine entsprechernde Arbeitswilligkeit gegenüberstehen. Jede Arbeitsstunde, die infolge Krankheit oder Unterernährung ausfällt, geht der deutschen Volkswirtschaft verloren.
Die Behandlung muß streng, aber korrekt sein: mangelnde Arbeitswilligkeit wird durch die Wehrmacht bestraft.
Kriegsgefangene gehören nicht zur Haus- oder Hofgemeinschaft, also auch nicht zur Familie. Sie haben als Soldaten ihres Landes gegen Deutschland gekämpft, und sind daher unsere Feinde. Wer sie besser behandelt als deutsche Arbeitskräfte, wird zum Verräter an der Volksgemeinschaft.
Deutsche Frauen, die in Beziehungen zu Kriegsgefangenen treten, schließen sich selbst aus der Volksgemeinschaft aus und erhalten ihre gerechte Bestrafung. Selbst der Schein einer Annäherung muß vermieden werden.
Jedes Entgegenkommen gegenüber Kriegsgefangenen erleichtert dem Feind die Spionage und richtet sich damit gegen unser Volk.
Die Teilnahme an deutschen Feiern und Festen sowie kirchlichen Veranstaltungen, an denen Deutsche teilnehmen, ist den Kriegsgefangenen grundsätzlich untersagt. Der Besuch von Gaststätten und für Kriegsgefangene nicht zugelassenen Geschäften ist ebenfalls verboten. Dagegen ist es ihnen gestattet, ihre Feste unter sich zu feiern. Einzelne Kriegsgefangene, die durch besondere Leistungen sich verdient machen, dürfen sich, mit Urlaubsschein des zuständigen Lagers ausgestattet, auch ohne deutsche Bewachung frei bewegen.
Kriegsgefangene erhalten alle unbedingt notwendigen Dinge. Geringfügige Zuwendungen, als Belohnung für gute Arbeitsleistungen im Interesse der Erhaltung oder Steigerung der Arbeitsleistung, sind statthaft. Die für bestimmte Arbeiten vorgeschriebene Arbeitskleidung, wie z.B. für Grubenarbeiten, chemische oder andere Spezialberufe, ist nicht von der Wehrmacht, sondern vom Betriebsführer zur Verfügung zu stellen. Geld und andere Wertgegenstände dürfen Kriegsgefangene nicht erhalten, ebensowenig Alkohol, soweit dieser nicht zur betriebsüblichen Ernährung gehört.
Die Arbeitszeit richtet sich nach den kriegsbedingten Verhältnissen des Betriebes. Die Kriegsgefangene haben Anspruch auf die zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit erforderliche Ruhezeit und darüber hinaus auf eine gewisse Freizeit zur Instandhaltung der Bekleidung und der Unterkunft.
Im Umgang mit allen Kriegsgefangenen sind diese Leitsätze von jedem Deutschen unbedingt zu beachten. Sie gelten auch gegenüber französischen und belgischen Kriegsgefangenen, denen gewisse Erleichterungen gewährt sind.
Jeder Verstoß gegen diese Richtlinien sabotiert die Kriegsführung und wird streng bestraft.
Das Merkblatt wird den Betriebsführern durch die zuständigen Stalags beim Einsatz von Kriegsgefangenen ausgehändigt.
...
Verbindung zwischen französischen und sowjetischen Kriegsgefangene

Das Oberkommando der Wehrmacht hat angeordnet, daß sowjetische Kriegsgefangene von Kriegsgefangenen anderer Nationalitäten, insbesondere von französischen Kriegsgefangenen scharf zu trennen sind. Jede Möglichkeit der Aufnahme von Verbindungen, auch auf der Arbeitsstelle, ist zu verhindern. Ein gemeinsamer Arbeitseinsatz sowjetischer und französischer Kriegsgefangener soll möglichst nicht erfolgen.
Quelle: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Akte NS 25 / 1404
"Beschäftigung von Kriegsgefangenen, insbesondere in der Landwirtschaft (1939-43) ...", Nr. 71

Glaubt man den Erzählungen jener Mehrower, bei denen Kriegsgefangene im Einsatz waren, so hat man sich hier wie andernorts nicht an diese Anweisungen gehalten. Die Kriegsgefangenen wurden nicht schlechter behandelt als "normale" Arbeitskräfte und oftmals gehörten sie fast zur Familie. Es wurde auf vielen Höfen zusammen gegessen, obwohl das streng verboten war und die Einhaltung des Verbotes kontrolliert wurde. Und man hat ihnen mehr Freiheiten zugestanden, als die Bestimmungen vorsahen.

Nun ist natürlich, wie immer, wenn ein "Arbeitgeber" von der guten Behandlung seiner "Arbeitnehmer" schwärmt, Skepsis angebracht, zumal ja hier die Positionen beider sehr verschieden waren.

Aber wo findet man jemanden, der ein unparteiisches Urteil abgeben kann, oder gar einen Betroffenen, d.h. einen ehemaligen Kriegsgefangenen, der die Situation von der anderen Seite beleuchten kann ?

Zumindest letztes erschien uns 60 Jahre nach dem Krieg unmöglich. Es sind zwar die Vornamen von ein paar Kriegsgefangenen bekannt und es gibt ein paar wenige Bilder von ihnen - aber wie soll man einen davon finden und befragen ?

Da ist es schon ein großer Zufall, wenn man plötzlich einen Brief in die Hand gedrückt bekommt, den ein ehemaliger Kriegsgefangener an den Bauern geschrieben hat, bei dem er beschäftigt war.
Allein der Umstand, daß jemand nach der Heimkehr aus der dem Krieg einen freundlichen Brief an jenen schreibt, bei dem er die Gefangenschaft verbracht hat, läßt uns schon mal hoffen, daß an den Erzählungen von der guten Behandlung was Wahres dran ist.

Mehr zu diesem Brief und seinem Absender, Felix Carpentier, finden Sie in unserer Rubrik "Menschen in Mehrow". Wir hoffen, daß wir dort irgendwann auch noch über andere in Mehrow eingesetzte Kriegsgefangene berichten können. Bisher haben wir aber leider keine weiteren Adressen.

Die Schwarz-Weiß-Bilder auf dieser Seite hat uns Frau Elke Böhm (geborene Husfeldt) zur Verfügung gestellt, die während des Krieges hier in Mehrow ihre Kindheit verlebte. Ihre Kindheitseinnerungen, in denen auch die französischen Kriegsgefangenen eine Rolle spielen, finden sich ebenfalls in der Rubrik "Menschen in Mehrow". Die hier benutzten Bilder zeigen die auf dem Hof der Familie Husfeldt eingesetzten französischen Kriegsgefangen Pierre, Georg (Schorsch) und Claude. Frau Böhm schreibt zu den Bildern: 
"Vor der Flucht gaben sie [die französischen Kriegsgefangenen] unserer Mutter ihre Heimatanschriften für die Zeit nach dem Krieg. Leider wurden sie zusammen mit anderen Dokumenten auf der Flucht gestohlen"