Wie ja bereits bekannt ist, hat unsere letzte Gutsbesitzerin, Robert Stock's Tochter Anna Bothe, das Rittergut Mehrow 1938 an die Landgesellschaft "Eigene Scholle" verkauft, die es parzelliert und besiedelt hat. Im Herbst 1938 kamen die neuen Siedler und als erstes hier geborenes Siedlerkind kam am 27.12.1938 Husfeldt's älteste Tochter Elke zur Welt.
Sie heißt jetzt Böhm, wohnt in Schleswig-Holstein und fühlt sich noch immer sehr dem Ort verbunden, in dem sie die ersten 7 Jahre ihrer Kindheit zugebracht hat.
Das Bild links zeigt sie zusammen mit ihrem Ehemann Walter.


Frau Böhm ist gern unserem Wunsch gefolgt und hat sehr ausführlich niedergeschrieben, was sie als Kind hier in Mehrow erlebt hat, und gleich noch jede Menge Bilder aus jener Zeit geliefert. Hier sind ihre Aufzeichnungen, die wir nur geringfügig gekürzt haben:

Wie gewünscht, möchte ich Kindheitserlebnisse aus Mehrow festhalten. Für mich war es die schönste Zeit meiner Kindheit, trotz Kriegseinwirkungen, auch wenn es Unangenehmes gab.

Meine Eltern hatten kaum Zeit, sich um mich zu kümmern. Zu viel Arbeit für den Aufbau der Siedlung - die Äcker und die Tiere nahmen sie voll in Anspruch.
So bekam ich früh viel Kontakt zu den Tieren auf dem Hof. Unser Schäferhund Falko beaufsichtigte mich nebenbei. Er war mein Liebling. Eigentlich gehörte er meinem Großvater, Heinrich Mackeprang. Aber er hatte zu wenig Zeit, sich um ihn zu kümmern, da er Witwer war und berufstätig. Aus dem Grund gab er ihn meinen Eltern mit nach Mehrow.

Falko rettete mir, als ich noch ganz klein war, das Leben. Es war nach der Schneeschmelze im Frühjahr, als ich mit ihm spazieren ging bzw. mit ihm unterwegs war. Ich geriet in den matschigen, lehmigen Boden und sackte ein, konnte nicht wieder hinaus. Falko muß um mich herumgerannt sein und bemerkt haben, daß ich es nicht schaffe. So lief er nach Hause, immer um meinen Vater herum, dann vorweg als meine Mutter sagte, daß mit mir Etwas sein müsse, ich sei ja nirgends zu sehen.

Mein Vater folgte Falko in aller Eile, und fand mich eingesunken im Matsch. Daran kann ich mich natürlich nicht erinnern, sondern kenne es nur aus Berichten meiner Mutter.

Leider folgte Falko seiner Natur, als er die läufige Hündin unseres Nachbarn Papst besuchte, der ihn bemerkte, als er sich der Hündin näherte. Albert Papst war ein jähzorniger Mensch. Brutal muß er mit einem Knüppel auf Falko eingeschlagen haben.
Er kroch nach Hause, konnte sich kaum mehr rühren. Wenn ihn jemand streicheln wollte, knurrte und biß er, was man nie von ihm kannte. Auch ich durfte mich nicht mehr auf ihn oder gegen ihn legen, dann biß er auch nach mir. Papst hatte ihm das Rückgrat zerschlagen. So mußten meine Eltern ihn erschießen lassen. Wir alle vermißten ihn sehr.

Wenn Albert Papst zu Hause etwas nicht paßte, zum Beispiel das Essen nicht schmeckte, warf er es mit dem Teller an die Wand. Das kann ich bezeugen, weil ich es heruntergelaufen am Boden sah. Seine Frau ließ es mindestens acht Tage dort liegen, um ihm diese Unart abzugewöhnen.

Ich selbst bekam es zu spüren, wie gemein er werden konnte. Mit Dieter Papst kletterte ich auf dem kleineren Ackerwagen herum, der vorn einen Klappsitz hatte. Wir kippten ihn hin und her, und beim Herunterklappen geriet Dieter mit dem Daumen dazwischen. Der Daumennagel riß aus dem Nagelbett, Blut floß, und Dieter schrie vor Schmerzen. Ich bekam die Schuld, Dieter wurde in meinem Beisein verbunden, und sein Vater erlaubte ihm, d.h. er stachelte ihn an, mich mit der Pferdepeitsche zu schlagen.

Da ich nicht wußte wohin so schnell, verkroch ich mich neben der Haustür unter dem Milchkannenständer. Trotzdem schlug Dieter auf mich ein. Ich fühlte mich so gedemütigt, so ungerecht behandelt, daß ich deren Hof viele Wochen nicht betrat und nicht mehr mit den Papst-Kindern spielte.

Bei uns wurden jeden Abend die Fensterläden geschlossen, aber am Nikolaustag, 6. Dezember, öffneten sie sich noch im Dunkeln, so daß wir den Mond sahen, der ins Schlafzimmer schien. Im Fenster hingen unsere gestrickten Strümpfe innen am Griff, in denen sich kleine Geschenke befanden. Wie sie hinein kamen, konnte uns niemand sagen. Der Nikolaus mußte es gewesen sein.

Wenn eine sternenklare Nacht war, öffnete man die Fensterläden oft früher. So konnten wir den Himmel beobachten, und meine Eltern ihre Arbeiten erledigen, bis wir aufstehen mußten. Für sie begann der Tag meistens um vier Uhr und endete gegen 23 Uhr!! Auch nachzulesen im Lebenslauf meines Vaters, den er 1941 begann und dann beendete, als Mehrow für uns nicht mehr als Heimat vorhanden war. Als wir flüchten mußten, waren nicht nur wir davon überzeugt, in sechs Wochen zurückkehren zu können.

Nachdem mein Vater rechts von der Haustür einen Raum vom Kuhstall abtrennte, in dem eine kleinere Küche eingerichtet wurde, während die große Wohnküche als allgemeiner Wohnraum diente, hängte man den selbstgebundenen Adventskranz in die kleine Küche, damit alle auf dem Hof beschäftigten den Kerzenschein genießen konnten. Sie diente auch nur als Eßraum. In der Wohnküche konnten wir vier Kinder uns ungehindert bewegen, ohne daß Gefahr bestand, uns am Herd zu verbrennen. Der Kachelofen daneben gab wunderbare Wärme. In seiner Backröhre wurden Bratäpfel gebraten, die für herrlichen Duft sorgten.
Er (mein Vater) war auch der erste Siedler, der im Haus ein Bad einbaute, zur gleichen Zeit wie die Küche.
Die Feiertage, wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten, verbrachten wir im kleinen Wohnzimmer, in dem der Wohnzimmerschrank, die Polstermöbel und die Blumenbank standen.



An unser letztes Weihnachten 1944 erinnere ich mich sehr gut. Tage vorher war die Zimmertür schon verschlossen. Einmal sah ich flüchtig den großen Weihnachtsbaum stehen, fertig geschmückt, als meine Mutter sich hineindrängelte. Danach stand ich öfter am Schlüsselloch, konnte aber nichts wahrnehmen. Als dann Heiligabend war, die Bescherung vor der Tür stand, wir ungeduldig warteten, wurde geöffnet, und vor uns stand ein Weihnachtsmann. Er sprach uns an, besonders mich als älteste. Ich mußte ein kleines Gedicht aufsagen, es wurde ein Weihnachtslied gesungen. Dann erhielten wir die Geschenke.

Ein großes Puppenhaus mit Treppenaufgang und Haustür von vorn und offenen Zimmern mit Kleinstmöbeln an der Rückseite. War ich begeistert! Ein richtiges Dach aus Holzplatten mit einer Luke zum Hochklappen befand sich oben drauf. Was mir ständig ins Auge fiel, war der Ring des Weihnachtsmannes, den er am Finger trug. Den kannte ich von einem Familienfreund aus Berlin. Ich war ein sehr schüchternes Kind. Darum sagte ich leise zu meiner Mutter, daß er genauso einen Ring trägt, wie der Herr Schneider, so sein Name. Daran merkten meine Eltern, wie genau man auf jede Kleinigkeit achten mußte, um nichts zu verraten. Alle auf, dem Hof Beschäftigten befanden sich ebenfalls im Weihnachtszimmer und feierten mit uns. Ob das Puppenhaus von Schneiders Tochter stammte, weiß ich nicht.

Das Dach des Puppenhauses benutzte ich im Sommer, um Schmetterlinge, die ich fing, dort aufzubewahren. Daß sie es nicht überleben würden, wußte ich nicht. Tieftraurig fand ich sie später tot am Boden liegend.

Das Ehepaar Schneider besuchte uns öfter, wahrscheinlich auch, um Eßbares einzutauschen. Es verlor Jahre davor durch den Tod die 21 jährige Tochter. Ich als Kleinkind soll sie wieder zum Lachen gebracht haben. Aus Dankbarkeit schenkten sie meinen Eltern für mich eine handgewebte Tafeldecke mit den Initialen, für 12 Personen. Ich habe sie noch. Auf der Flucht scheuerte ein Knopf eines Bettbezugs ein Loch hinein, das ich viel später stopfte. Die Decke legte ich selbstverständlich auf den Tisch, wenn viele Gäste bei uns waren. Die Frau des Ehepaares war Kammersängerin in Berlin. Meiner Mutter riet sie, falls ich einmal Fremdsprachen lernen sollte, nicht das ordinäre Englisch zu wählen, sondern das vornehme Französisch. Das aber lag nicht in unserer Hand. Wir mußten später ab dem 4. Schuljahr Englisch lernen, verordnet von der englischen Besatzung.

Zu Besuch kamen auch die Schwestern, der Bruder meines Vaters, der Bruder meiner Mutter und die Großväter. Unsere Tanten halfen hauptsächlich, wenn die Geburt meiner Schwestern bevorstand, oder wenn sie auf der Welt waren. Auch die Zwillingsschwester meines Großvaters sprang ein, um auf mich und meine Schwester Heide aufzupassen.
Gerade zu dem Zeitpunkt sollte eine sehr große Sau geschlachtet werden, und mich wollte sie überreden, dabei den Schwanz festzuhalten. Aber das Schweineschlachten ist mir bis heute ein Riesengreul geblieben, ebenso das von anderen Tieren.

Meinem Großvater sollte ich bei seinem Besuch mit dem Tablett das Frühstück zum Nebengebäude bringen und mußte deshalb den Hof überqueren, wußte aber, daß ich den Hahn im Auge behalten mußte. Er ließ mich gar nicht heran kommen, stürzte sich in meine Richtung. Das Tablett setzte ich sofort auf dem Hof ab und rannte, so schnell ich konnte, zurück. Nie wieder ließ ich mich überreden.

Im selben Gebäude im Schweinestall wurde eine Rattenjagd veranstaltet. Ich durfte erst danach den Stall betreten. Am Ende des Hauses befand sich ein Ersatzunterstand für Wagen oder Geräte. Auch das kleingeschlagene Holz wurde dort gelagert. Als einer unserer Franzosen im Eingang Holz hackte und ich mit meinem Puppenwagen in der Nähe war, traf ein Stück den gläsernen Kopf meiner Puppe, der völlig zersplitterte. Ich weinte sehr, und der Franzose lachte noch. Spielzeug war zu den Zeiten Mangelware und mußte herangetauscht werden.

Das erinnert mich an mein Dreirad, mit dem ich zu gern fuhr. Der Viehhändler wollte es unbedingt gegen ein anderes, vielleicht größeres eintauschen. Ich bekam es mit und sträubte mich mit Händen und Füßen dagegen, es war meines, und ich wollte es behalten. Irgendwie lockte man mich fort und es war futsch. Nie kam der versprochene Ersatz. Ich war sehr traurig und fühlte mich verraten.

Wir Kinder von Husfeldt, Papst und Kolumbe spielten fast täglich zusammen. Im Sommer liefen wir bei Wärme nackt herum, was vorüberkommenden Berlinern gar nicht gefiel und auf die Eltern schimpften, die es zuließen. Sie sollten sich schämen.

Auf dem Hof befand sich ein Ententümpel, den wir als Badeplatz benutzten, wenn er nicht schmutzig war. Sonst stand eine Zinkwanne bereit, in der wir herumtollten.


Mein Vater hatte einen zweirädigen Wagen gebaut, als wir vom Züchter Erich Mechel aus Ahrensfelde Neufundländerhündinnen zur Zucht hatten. Diese spannte man davor, und wir konnten auf dem Hof rundherum fahren. Bei Papst gab es einen Ziehwagen, vor den man Ziegen spannte, die uns zogen. Dabei wurden wir gefilmt und fotografiert, wie so oft. Sicher lagern von den Filmen noch welche in Archiven.

Die Neufundländer bedeuteten uns Kindern sehr viel. Sie ließen uns nicht an der Grabenseite gehen, wenn wir auf der Straße spielten. Sie bekamen auch Junge. Die Welpen erhielt der Züchter später. Die Muttertiere folgten uns, als wir mit dem Treck Mehrow am 20. April 1945 verließen, sie hießen Afra und Asta. Eine von ihnen folgte uns bis hinter Berlin. Irgendwann traf sie krank in Ahrensfelde ein.

Großen Spaß bereitete uns das Herunterspringen vom Heuboden in unten liegendes Stroh. Unsere Eltern hatten es nicht gern. Meistens vergnügten wir uns damit bei Kolumbe's.
Eine gemeinsame Scheune, die uns, Papst und Kolumbe gehörte, war meistens geschlossen. Sie stand auf dem Eckgrundstück, das uns gehörte, zwischen der Trappenfelder Straße und dem Krummenseer Weg, gegenüber vom Parkeingang.
In dessen Nähe befand sich auch der Bunker, in dem wir bei Bombenangriffen Schutz suchten. Die Scheune verbrannte noch vor Kriegsende. An dem Grundstück entlang floß ein sauberer Bach, eher Graben, der stets gepflegt und Böschungen gemäht wurden. Er mündete in den Dorfteich. Gern sah ich dort das Wasser fließen, und auf der gegenüberliegenden Seite am Krummenseer Weg suchten wir in der sumpfigen Ecke Schneckenhäuser, pflückten Sumpfdotterblumen, sahen Rohrkolben stehen, Frösche hüpfen usw. Heute ist alles verkommen und verdreckt.

Im Winter konnten wir auf dem zugefrorenen Teich mit dem Schlitten fahren, aber nur in Begleitung unserer volksdeutschen Mädchen. Dabei gingen wir an Friederici's Hof vorüber und Käte Friederici rief mich. Meine Schüchternheit hielt mich davon ab zu reagieren. Im Dorf kannte ich fast niemanden.

Zeitweise hatte mein Vater die Aufsicht im Wasserwerk, wie man es nannte, und ich durfte oft mit hinein gehen. Es versorgte die Siedlungshöfe mit Wasser, bis die Russen nach dem Einmarsch das Pumpwerk in die Luft sprengten. Später, als sie merkten, was sie angerichtet hatten, mußte es wieder aufgebaut werden.

Meine Schwester Heide wäre fast in unserer Jauchegrube ertrunken, als einer der jungen Männer oder Franzosen vergessen hatte, den Deckel wieder draufzulegen. Sie schrie und schrie und niemand wußte woher, bis man sie in der Jauchegrube entdeckte, wo sie sich gerade noch festklammern konnte. Über acht Tage "duftete" sie, nichts half dagegen. Ganz klein probierte sie auch Hühnerdreck, er machte ihr nichts aus.

Ich mußte öfter auf sie aufpassen, auch mit der Sportkarre losschieben.

So schlugen wir die Richtung in das Luzernefeld ein, in dem sich die Schützengräben befanden. Heide ließ ich aussteigen, und ich sammelte herumliegende Munition ein; soviel, daß Heide nicht mehr darin Platz hatte, und wir schoben zurück. Mein Vater fiel fast in Ohnmacht, als er es sah.

Da meinten die Hitler-Jungen, daß sie auch gesammelt hätten und versteckt. Als sie sagten wo, wurde mein Vater blaß, wie man berichtete. Die Munition befand sich unten im Schornstein, der zur Räucherkammer auf dem Boden führte.

Links von Papst's Haus hatten Papst ein Sonnenblumenfeld angelegt. Als die Pflanzen schon gut in Reih' und Glied standen, kam Dieter Papst auf die Idee, gemeinsam mit Heide eine Pflanze nach der anderen niederzutreten. Bis es bemerkt wurde, hatten sie schon erheblichen Schaden angerichtet, was sich auf Dieter's Hintern schmerzhaft auswirkte. Heide durfte einige Zeit nicht den Hof betreten.

Unsere Mädchen aus der Ukraine brauchten dringend Kleidung, die es nur noch auf Bezugscheinen gab. Auf unserem Hof arbeiteten anfangs drei französische Kriegsgefangene, die genauso mit uns lebten und aßen, wie alle bei uns. Einer kam aus der Landwirtschaft, einer war in Frankreich Fabrikarbeiter und der dritte Direktor einer Brauerei, der auch immer sehr hilfsbereit meiner Mutter gegenüber war, wenn sie ein Kind erwartete.
Dieser Franzose wollte von uns zur Reichsbahn wechseln, weil es im Lager, in dem sie untergebracht waren, keine Möglichkeit zum Baden oder Duschen gab. Zum Abschied durfte er sich etwas wünschen: Er wollte Pförtchen haben (Krapfen o.Ä.).

Als dann die Mädchen mit dem Zug nach Berlin fuhren, gab meine Mutter ihnen für ihn, falls sie ihn an der Strecke bei Gleisarbeiten sahen, eine Tüte voll mit. Sie entdeckten ihn, warfen die Tüte aus dem Fenster und riefen seinen Namen. Anschließend wurde der Zug durchsucht, aber es verriet sie niemand.
Es gab nur noch wenig zu essen, und dann wagte es noch jemand, eine Tüte für einen Gefangenen aus dem Fenster zu werfen..!

Die Angriffe häuften sich, ich sah Flugzeuge am Tage abstürzen. Mein Vater fand einmal auf dem Feld einen farbigen Piloten wie schlafend im Flugzeugsitz. Er hatte eine goldene Armbanduhr am Arm, die am nächsten Tag fort war, als er nachsah, ob er noch an der Stelle saß. Die Trümmer mußten weggeräumt sein, bevor die Siedler die Felder betreten durften. Bei einem schlimmen Angriff hatten wir Glück im Unglück: Kettenbomben verfehlten unsere Höfe und gingen in das Sumpfgelände am Gehölz an der Autobahn, wo durch die Explosionen die Bäume ca. 500 Meter weit in unsere Richtung flogen. Sämtliche Dächer waren stark beschädigt. Alles mußte repariert werden, was nicht einfach war. Wir saßen während des Geschehens im Luftschutzraum im Keller unseres Hauses, das stark zitterte. Mein Vater hatte wegen der einzubringenden Ernte gerade Sonderurlaub.

Gemeinsam mit Karl-August Papst und Harald Kolumbe war ich im September in der Dorfschule eingeschult worden. Wegen der Angriffe, die durch den Alarm angekündigt wurden, fand der Unterricht nur unregelmäßig statt. Ich saß neben Adelheid Gehler, vor uns die beiden Jungen.

An den Unterricht selbst kann ich mich nicht erinnern, nur daß wir Kleinen auf der Schiefertafel die ersten Buchstaben zu schreiben versuchten. Nur ein Ereignis blieb in lebhafter Erinnerung: ein Junge der 7. oder 8. Klasse ging mit einem Stuhl, der am Pult stand, auf die Lehrerin los und warf damit nach ihr. Die Familie, aus der er kam, war bekannt dafür. Er und seine Geschwister durften unsere Schule nicht mehr besuchen. Der Junge soll in ein Erziehungsheim gekommen sein.

Manchmal besuchten wir auch Familie Diederich, deren älteste Tochter Regine seit der Geburt schwerbehindert ist. Sie lag im Zimmer auf der Decke und konnte sich nicht rühren, um mit uns zu spielen. Es ist erwiesen, daß ihr Zustand Schuld des Arztes und der Hebamme ist. Sieben Stunden nach dem Verlust des Fruchtwassers bei der Mutter holte man das Kind, total sauerstoffunterversorgt. Später folgten noch Liselotte und Erhard. Nach ihm starb die Mutter und wurde in Mehrow auf dem Siedlerfriedhof im Park am 5. Juli 1944 beigesetzt, wo sie noch heute ruht.

An eine andere Begebenheit erinnere ich mich noch, als ein starkes Gewitter über Mehrow stand, sah ich, sicher auch meine Eltern, daß ein Kugelblitz auf unser Haus zusprang, der aber Gott sei Dank kurz davor abdrehte in Richtung Schlamann. Dort setzte er das Stallgebäude in Brand. Ob Tiere zu Schaden kamen, weiß ich nicht. Da ich gern allein über die Felder ging, auch oft mit dem Ackerwagen mitfuhr, traf ich am Blumberger Weg ein älteres Mädchen, das aus Kastanien kleine Körbe schnitzte, von denen es mir einen schenkte. Noch nie hatte ich so etwas gesehen und freute mich sehr.

Ein anderes Mal ging ich in Richtung Park. Auf der Wiese davor stand ein Kastanienbaum, bei dem ich Früchte zu finden hoffte. Aber umsonst, um mich herum standen nur ziemlich hohe Brennessel, durch die ich mich nicht wieder zurück wagte und schrie, so laut ich konnte, bis meine Mutter kam und mich befreite. Mit Brennesseln hatte ich schon öfter schmerzhafte Bekanntschaft gemacht. Wahrscheinlich war es auch der Grund in unserer Fluchtnacht, als "Tannenbäume" den Himmel erhellten und wir alle Deckung im Straßengraben suchten, als die Tiefflieger uns angriffen. Icn sprang aus dem Graben, weil ich mich, glaube ich, an Brennesseln verbrannte. Das rettete mir das Leben. An der Stelle fand man die Geschosse, als unsere Leute nachsahen.

Am 20. April 1945 nahmen die Tiefflieger auch meine Mutter unter Beschuß, als sie die Kühe auf die Wiese trieb, damit sie nicht im Stall blieben, wenn wir den Hof verlassen mußten. Sie trafen meine Mutter nicht, da sie ständig Deckung suchte. Uns Kinder schickte meine Mutter in den Keller, unter Aufsicht unseres Hitler-Jungen Walter Mühl. Er wagte es, durch das Kellerfenster nach den Flugzeugen zu sehen. Die hatten eine solche Treffsicherheit, daß eines die Sprossen des Fensters traf, zum Glück nicht die Scheibe. Das Geschoß nahm Walter mit auf die Flucht als Andenken. Er begleitete uns bis Neumünster und mußte den von Papst erhaltenen kleineren Ackerwagen mit einem Pferd lenken, während meine Mutter den großen mit Zeltplane und zwei Pferden davor lenkte.

Die meisten Siedler hatten ihre Kinder zu Verwandten in den Westen Deutschlands gegeben, bevor ein Fluchttermin feststand. Soweit ich mich erinnere waren nur noch die Papst-Jungen dabei und wir vier Mädchen.

Auch das volksdeutsche Mädchen Ida (Grete) Friedrich begleitete uns. Ihre Familie war zwischenzeitlich wohnhaft im Raum Potsdam. Als die Russen später erfuhren, daß sie in der Ukraine geboren waren, transportierte man sie bis in das Sperrgebiet an der chinesischen Grenze.


Da Frau Böhm dieser Tage, Ende Dezember, Geburtstag hat, wollen wir unseren Dank für die Niederschrift ihrer Erlebnisse und die bereitgestellten Bilder mit einem herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag verbinden !