Wenn Albert Papst zu Hause etwas nicht paßte, zum Beispiel das Essen nicht schmeckte, warf er es mit dem Teller an die Wand. Das kann ich bezeugen, weil ich es heruntergelaufen am Boden sah. Seine Frau ließ es mindestens acht Tage dort liegen, um ihm diese Unart abzugewöhnen. |
Bei uns wurden jeden Abend die Fensterläden geschlossen, aber am Nikolaustag, 6. Dezember, öffneten sie sich noch im Dunkeln, so daß wir den Mond sahen, der ins Schlafzimmer schien. Im Fenster hingen unsere gestrickten Strümpfe innen am Griff, in denen sich kleine Geschenke befanden. Wie sie hinein kamen, konnte uns niemand sagen. Der Nikolaus mußte es gewesen sein. |
Wenn eine sternenklare Nacht war, öffnete man die Fensterläden oft früher. So konnten wir den Himmel beobachten, und meine Eltern ihre Arbeiten erledigen, bis wir aufstehen mußten. Für sie begann der Tag meistens um vier Uhr und endete gegen 23 Uhr!! Auch nachzulesen im Lebenslauf meines Vaters, den er 1941 begann und dann beendete, als Mehrow für uns nicht mehr als Heimat vorhanden war. Als wir flüchten mußten, waren nicht nur wir davon überzeugt, in sechs Wochen zurückkehren zu können. |
An unser letztes Weihnachten 1944 erinnere ich mich sehr gut. Tage vorher war die Zimmertür schon verschlossen. Einmal sah ich flüchtig den großen Weihnachtsbaum stehen, fertig geschmückt, als meine Mutter sich hineindrängelte. Danach stand ich öfter am Schlüsselloch, konnte aber nichts wahrnehmen. Als dann Heiligabend war, die Bescherung vor der Tür stand, wir ungeduldig warteten, wurde geöffnet, und vor uns stand ein Weihnachtsmann. Er sprach uns an, besonders mich als älteste. Ich mußte ein kleines Gedicht aufsagen, es wurde ein Weihnachtslied gesungen. Dann erhielten wir die Geschenke. |
Ein großes Puppenhaus mit Treppenaufgang und Haustür von vorn und offenen Zimmern mit Kleinstmöbeln an der Rückseite. War ich begeistert! Ein richtiges Dach aus Holzplatten mit einer Luke zum Hochklappen befand sich oben drauf. Was mir ständig ins Auge fiel, war der Ring des Weihnachtsmannes, den er am Finger trug. Den kannte ich von einem Familienfreund aus Berlin. Ich war ein sehr schüchternes Kind. Darum sagte ich leise zu meiner Mutter, daß er genauso einen Ring trägt, wie der Herr Schneider, so sein Name. Daran merkten meine Eltern, wie genau man auf jede Kleinigkeit achten mußte, um nichts zu verraten. Alle auf, dem Hof Beschäftigten befanden sich ebenfalls im Weihnachtszimmer und feierten mit uns. Ob das Puppenhaus von Schneiders Tochter stammte, weiß ich nicht. |
Das Dach des Puppenhauses benutzte ich im Sommer, um Schmetterlinge, die ich fing, dort aufzubewahren. Daß sie es nicht überleben würden, wußte ich nicht. Tieftraurig fand ich sie später tot am Boden liegend. |
Das Ehepaar Schneider besuchte uns öfter, wahrscheinlich auch, um Eßbares einzutauschen. Es verlor Jahre davor durch den Tod die 21 jährige Tochter. Ich als Kleinkind soll sie wieder zum Lachen gebracht haben. Aus Dankbarkeit schenkten sie meinen Eltern für mich eine handgewebte Tafeldecke mit den Initialen, für 12 Personen. Ich habe sie noch. Auf der Flucht scheuerte ein Knopf eines Bettbezugs ein Loch hinein, das ich viel später stopfte. Die Decke legte ich selbstverständlich auf den Tisch, wenn viele Gäste bei uns waren. Die Frau des Ehepaares war Kammersängerin in Berlin. Meiner Mutter riet sie, falls ich einmal Fremdsprachen lernen sollte, nicht das ordinäre Englisch zu wählen, sondern das vornehme Französisch. Das aber lag nicht in unserer Hand. Wir mußten später ab dem 4. Schuljahr Englisch lernen, verordnet von der englischen Besatzung. |
Das erinnert mich an mein Dreirad, mit dem ich zu gern fuhr. Der Viehhändler wollte es unbedingt gegen ein anderes, vielleicht größeres eintauschen. Ich bekam es mit und sträubte mich mit Händen und Füßen dagegen, es war meines, und ich wollte es behalten. Irgendwie lockte man mich fort und es war futsch. Nie kam der versprochene Ersatz. Ich war sehr traurig und fühlte mich verraten. Wir Kinder von Husfeldt, Papst und Kolumbe spielten fast täglich zusammen. Im Sommer liefen wir bei Wärme nackt herum, was vorüberkommenden Berlinern gar nicht gefiel und auf die Eltern schimpften, die es zuließen. Sie sollten sich schämen. Auf dem Hof befand sich ein Ententümpel, den wir als Badeplatz benutzten, wenn er nicht schmutzig war. Sonst stand eine Zinkwanne bereit, in der wir herumtollten. |
Mein Vater hatte einen zweirädigen Wagen gebaut, als wir vom Züchter Erich Mechel aus Ahrensfelde Neufundländerhündinnen zur Zucht hatten. Diese spannte man davor, und wir konnten auf dem Hof rundherum fahren. Bei Papst gab es einen Ziehwagen, vor den man Ziegen spannte, die uns zogen. Dabei wurden wir gefilmt und fotografiert, wie so oft. Sicher lagern von den Filmen noch welche in Archiven. Die Neufundländer bedeuteten uns Kindern sehr viel. Sie ließen uns nicht an der Grabenseite gehen, wenn wir auf der Straße spielten. Sie bekamen auch Junge. Die Welpen erhielt der Züchter später. Die Muttertiere folgten uns, als wir mit dem Treck Mehrow am 20. April 1945 verließen, sie hießen Afra und Asta. Eine von ihnen folgte uns bis hinter Berlin. Irgendwann traf sie krank in Ahrensfelde ein. |
Zeitweise hatte mein Vater die Aufsicht im Wasserwerk, wie man es nannte, und ich durfte oft mit hinein gehen. Es versorgte die Siedlungshöfe mit Wasser, bis die Russen nach dem Einmarsch das Pumpwerk in die Luft sprengten. Später, als sie merkten, was sie angerichtet hatten, mußte es wieder aufgebaut werden. |
Die Angriffe häuften sich, ich sah Flugzeuge am Tage abstürzen. Mein Vater fand einmal auf dem Feld einen farbigen Piloten wie schlafend im Flugzeugsitz. Er hatte eine goldene Armbanduhr am Arm, die am nächsten Tag fort war, als er nachsah, ob er noch an der Stelle saß. Die Trümmer mußten weggeräumt sein, bevor die Siedler die Felder betreten durften. Bei einem schlimmen Angriff hatten wir Glück im Unglück: Kettenbomben verfehlten unsere Höfe und gingen in das Sumpfgelände am Gehölz an der Autobahn, wo durch die Explosionen die Bäume ca. 500 Meter weit in unsere Richtung flogen. Sämtliche Dächer waren stark beschädigt. Alles mußte repariert werden, was nicht einfach war. Wir saßen während des Geschehens im Luftschutzraum im Keller unseres Hauses, das stark zitterte. Mein Vater hatte wegen der einzubringenden Ernte gerade Sonderurlaub. |
Gemeinsam mit Karl-August Papst und Harald Kolumbe war ich im September in der Dorfschule eingeschult worden. Wegen der Angriffe, die durch den Alarm angekündigt wurden, fand der Unterricht nur unregelmäßig statt. Ich saß neben Adelheid Gehler, vor uns die beiden Jungen. |
Manchmal besuchten wir auch Familie Diederich, deren älteste Tochter Regine seit der Geburt schwerbehindert ist. Sie lag im Zimmer auf der Decke und konnte sich nicht rühren, um mit uns zu spielen. Es ist erwiesen, daß ihr Zustand Schuld des Arztes und der Hebamme ist. Sieben Stunden nach dem Verlust des Fruchtwassers bei der Mutter holte man das Kind, total sauerstoffunterversorgt. Später folgten noch Liselotte und Erhard. Nach ihm starb die Mutter und wurde in Mehrow auf dem Siedlerfriedhof im Park am 5. Juli 1944 beigesetzt, wo sie noch heute ruht. |
An eine andere Begebenheit erinnere ich mich noch, als ein starkes Gewitter über Mehrow stand, sah ich, sicher auch meine Eltern, daß ein Kugelblitz auf unser Haus zusprang, der aber Gott sei Dank kurz davor abdrehte in Richtung Schlamann. Dort setzte er das Stallgebäude in Brand. Ob Tiere zu Schaden kamen, weiß ich nicht. Da ich gern allein über die Felder ging, auch oft mit dem Ackerwagen mitfuhr, traf ich am Blumberger Weg ein älteres Mädchen, das aus Kastanien kleine Körbe schnitzte, von denen es mir einen schenkte. Noch nie hatte ich so etwas gesehen und freute mich sehr. |
Am 20. April 1945 nahmen die Tiefflieger auch meine Mutter unter Beschuß, als sie die Kühe auf die Wiese trieb, damit sie nicht im Stall blieben, wenn wir den Hof verlassen mußten. Sie trafen meine Mutter nicht, da sie ständig Deckung suchte. Uns Kinder schickte meine Mutter in den Keller, unter Aufsicht unseres Hitler-Jungen Walter Mühl. Er wagte es, durch das Kellerfenster nach den Flugzeugen zu sehen. Die hatten eine solche Treffsicherheit, daß eines die Sprossen des Fensters traf, zum Glück nicht die Scheibe. Das Geschoß nahm Walter mit auf die Flucht als Andenken. Er begleitete uns bis Neumünster und mußte den von Papst erhaltenen kleineren Ackerwagen mit einem Pferd lenken, während meine Mutter den großen mit Zeltplane und zwei Pferden davor lenkte. |
Da Frau Böhm dieser Tage, Ende Dezember, Geburtstag hat, wollen wir unseren Dank für die Niederschrift ihrer Erlebnisse und die bereitgestellten Bilder mit einem herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag verbinden ! |