Eine erste Überraschung haben wir ja schon vor ein paar Wochen erlebt, als wir Akten fanden, die belegen, daß sich Mehrow Mitte der 50er Jahre die kleine Gemeinde Born (jetzt Ortsteil der Stadt Hohenstein) im Untertaunus als "Partnergemeinde" auserkoren hat.

Das war nun aber keinesfalls eine spontane Aktion des Gemeinderates, sondern erfolgte offenbar auf Anweisung des Kreises. Vermutlich sind auch an die Schulen des Kreises Aufforderungen ergangen, Schriftwechsel mit westdeutschen Schulen aufzunehmen.
In den Schulakten des Kreises finden sich Tertial- und Jahresberichte der Mehrower Schulleiterin, Frau Lindholz, die entsprechende Hinweise enthalten:


In der Tertialanalyse 1.1.55 - 31.3.55 vom 12.4.55 heißt es:

"Im kommenden Tertial wird der Briefwechsel mit der westdeutschen Schule in Seitzenhahn aufgenommen."



Und in der Jahresanalyse 1954/55 vom 18.7.55 ist festgehalten:

"Der Briefwechsel mit der Patenschule in Seitzenhahn - Untertaunus wurde aufgenommen. Leider blieben die Briefe unbeantwortet."

Quelle: Akte 606-65/3 (1882/6) "Jahresberichte Schulen 1952-1959" im Kreisarchiv Barnim

Warum sich unsere Schule nun nicht der Einfachheit halber die Schule in der auserkorenen Partnergemeinde Born, sondern im dicht daneben gelegenen Seitzenhahn als Adressat ausgesucht hat, wissen wir leider nicht. Aber das werden wir schon noch 'rausbekommen, vielleicht sogar auch etwas über den Inhalt der versandten Briefe ...

Aber werfen wir doch erst einmal einen Blick auf Seitzenhahn. Das liegt im Untertaunus, nordwestlich von Wiesbaden, etwa auf der Hälfte zwischen Wiesbaden und Bad Schwalbach. Der Ort hatte damals (1955) 450 Einwohner, etwa gleich viele wie Mehrow. Seitzenhahn ist im 14. Jahrhundert erstmals erwähnt worden und ist damit auch etwa gleich alt.

1971 ist Seitzenhahn mit 10 weiteren Gemeinden zur künstlich geschaffenen Gemeinde "Taunusstein" zusammengelegt worden, die kurz darauf zur Stadt erhoben wurde. Heute hat der Taunussteiner Stadtteil Seitzenhahn ca. 1300 Einwohner.

Auf der Suche nach weiteren Informationen und in der wagen Hoffnung, vielleicht auch etwas über Mehrows ehemalige "Patenschule" zu erfahren, sind wir auf die interessante Webseite eines Seitzenhahner Bürgers gestoßen.
Auf http://www.v.Berlepsch.de.vu gibt Herr Brun v.Berlepsch unter anderem in Bild und Text und mit musikalischer Untermalung Auskunft über seinen Heimatort.


Er hat uns freundlicherweise erlaubt, ein paar seiner Bilder und das oben gezeigte Seitzenhahner Wappen für eine kurze Vorstellung des Ortes auf unserer Webseite zu nutzen.


Also, die Bilder sind durchaus sehr einladend und wie das Bild mit der Feuerwehr zeigt, verstehen es auch die Seitzenhahner zu feiern. Also, man sollte sich den Ort ruhig mal anschauen, am Besten zusammen mit unserer "Partnergemeinde" Born, die ganz dicht daneben liegt, aber nicht zu Taunusstein, sondern zur Stadt Hohenstein gehört.

Als Touristenattraktion gibt es in dieser Gegend die Aartalbahn, die auf ihrem Weg von Wiesbaden zur Aar auch durch Taunusstein kommt.

Nebenstehendes Bild verspricht eine bestimmt reizvolle Fahrt durch diese schöne Gegend.

Aber zurück zur Seitzenhahner Schule, um die es hier eigentlich geht. Diese ist etwa zeitgleich mit der Eingemeindung nach Taunusstein (1971) abgerissen worden und Herr v.Berlepsch, der erst kurz danach zugezogen ist, hat selbst keine Erinnerung mehr daran. Aber er hat in den wenigen Tagen seit unserer Anfrage schon alle möglichen Leute befragt und bereits einiges an Informationen zusammen getragen:

Wichtigstes Ergebnis der bisherigen Recherche ist zweifellos nebenstehendes Bild der Schule in Seitzenhahn, aufgenommen 1930, kurz nach der Fertigstellung des Gebäudes (1929).

Das Bild zeigt die Hofseite der Schule. Die vier Fenster im Obergeschoß gehören zum einzigen Klassenraum der Schule, rechts daneben befand sich die fensterlose Bibliothekskammer.

Anders als in Mehrow hat der Lehrer selbst nicht im Schulgebäude gewohnt, sondern ein paar Häuser weiter im Ort. Aber dafür hat das Seitzenhahner Schulgebäude eine andere Besonderheit zu bieten: ein öffentliches Bad im Erdgeschoß!

Dieses wurde eingerichtet, weil damals noch nicht viele Häuser ein eigenes Bad besaßen. Jeweils samstags konnten die Seitzenhahner dort kostenlos baden oder duschen. Die für die Reinigung des Bades zuständige Hausmeisterin wurde von der Gemeinde bezahlt.

Auf dem Bild, das der letzte Hausmeister der Schule hervorgekramt hat, sieht man auf der Stirnseite den Eingang zum Bad. Links davon das Fenster des an der Straße gelegenen Aufenthalts- und Warteraumes, rechts davon an der Stirnseite ein und auf der Hofseite drei Fenster des eigentlichen Bades, das aus zwei Wannen und zwei Duschen bestand. Die Tür auf der Hofseite führte in den Heizraum, der Anbau rechts daneben beherbergte die Toiletten und das Kokslager.

Daß Herr v.Berlepsch für uns solch ein altes Foto aufgetrieben hat, freut uns riesig - und er hat noch weitere versprochen, die wir dann umgehend hier einfügen werden. Es lohnt sich also, immer mal wieder vorbei zu schauen.

Und auch bezüglich der Briefe von Mehrow nach Seitzenhahn hat unser "Reporter vor Ort" recherchiert und sogar schon was herausgefunden:

Eine ältere Dame in Seitzenhahn kann sich noch an solche Briefe erinnern - da kamen öfter mal welche an. Weil man nicht wußte, wie man darauf reagieren soll, hat man sie an die evangelische Kirche weitergeleitet. Die Kirchenleitung hat dann letztlich dazu geraten, nicht auf solche Briefe zu antworten, da man (wohl nicht ganz zu Unrecht) davon ausging, daß die DDR-Behörden die Antwortbriefe mitlesen würden und eventuell darin enthaltene Informationen mißbrauchen könnten.

So viel für heute über Seitzenhain, wo Mehrows Dorfschule vor fast 50 Jahren eine etwa gleichartige "Patenschule" (oder sagen wir doch künftig lieber "Partnerschule") hatte - in einem Ort, der sich zumindest hinsichtlich der Größe nicht sehr von unserem unterschied. Die Schulen haben ein ähnliches Schicksal erlebt. Die Seitzenhahner wurde 1971 abgerissen, unsere kurz danach zu einem Wohnhaus umgebaut. Und wie Seitzenhahn verlieren auch wir jetzt unsere Selbständigkeit.

So sehr weit liegen wir also nicht auseinander, auch wenn uns ein paar hundert Kilometer und ein halbes Jahrhundert völlig unterschiedlicher Entwicklung trennen.
Vielleicht und hoffentlich fühlt sich der Eine oder Andere hier oder dort angestoßen, sich beim jeweils Anderen mal umzuschauen.