Im Nachlaß von Anna Bothe findet sich auch eine Mappe mit dem Titel
"Aus politischer Zeit", die einige Zeigungsartikel aus den 20er Jahren über Mehrow enthält.

Darunter findet sich auch die erste Oktoberausgabe des inzwischen zweimal monatlich erscheinenden "Deutschen Landarbeitarbeiterblattes", das sich nunmehr als "Monatsschrift für alle nationalen und christlich gesinnten Landarbeiter" ausweist. Darin wird über das in Harmonie von Gutsherrschaft und Gutsarbeitern abgehaltene Erntefest 1922 berichtet, aber auch ausgeführt, daß im Jahr zuvor das Erntefest ausgefallen ist.

Darüber berichten wir in unserem Beitrag "Arbeitskampf in Mehrow".



Aus der Landarbeiterbewegung der Provinz Brandenburg

Mehrow, Kreis Niederbarnim. Ein schönes Erntefest brachte unsere Mitglieder am 23. September wieder einmal in harmonische Verbindung mit Herrschaft und Beamtenschaft. Im vorigen Jahr war diese Feier ausgefallen. Der Landarbeiterverband hatte einen Keil in das gute Verhältnis getrieben und einen Teil der Arbeiterschaft in bekannter Weise aufgehetzt. Der Besitzer hielt sich nun wörtlich an den Tarifvertrag. Erntefeste, Weihnachtsspenden für Kinder, Zuwendungen aller Art bei Hochzeiten, Kindtaufen und anderen Gelegenheiten, ganz besonders die Krankenpflege, stehen nicht darin. Um jeden Streit zu vermeiden und den Hetzern Gelegenheit zu geben, es vorteilhafter zu machen, gab der Besitzer auch diese innigen Verbindungspunkte auf – nicht zu seinem Schaden. Nun haben die vernünftigen Arbeiter in Mehrow den stinkigen, störenden Keil wieder entfernt. Es besteht wieder ein gutes Verhältnis aller Arbeiter mit dem Besitzer. Jeder Arbeiter will und muß sein Auskommen haben, aber er wünscht auch ein gutes Zusammenleben und –arbeiten mit Herrschaft und Leitung. Da dies auch der sehnliche Wunsch des Herrn Rittergutsbesitzer Bothe ist, so hat er die treue Anhänglichkeit seiner Arbeiterschaft angenehm empfunden und wollte nun auch wieder mit seinen Arbeitern Erntefest feiern. Der Tag war ein Werktag, der natürlich auch als Feiertag ohne Lohnausfall zur freien Verfügung stand. Nachmittags kam der übliche Zug unter Vorantritt einer guten Musikkapelle vor das Herrenhaus. Die Überreichung der künstlerisch gearbeiteten Erntekrone und des Erntekranzes mit den passenden Gedichten war ein feierlicher Augenblick. Der historische Tanz vor versammelter Mannschaft des ersten Arbeiters (Großknecht) mit Frau Bothe und der ersten Arbeiterin mit Herrn Bothe ist ein Symbol für die enge, anschmiegende Zusammengehörigkeit. Herr Bothe lobte seine Arbeiter in seiner Ansprache für die gute und fleißige Arbeit und gelobte auch seinerseits in alter Treue Freude und Leid mit seinen Arbeitern gemeinsam zu tragen. Als Schluß dieser schönen Huldigung wurde das alte Erntedanklied „Nun danket alle Gott“, gesungen.

Auf dem Häckselboden, der neuzeitlich geschmückt, beleuchtet und gebohnert war, fand außer dem Tanz noch eine zweite schöne Feier statt. Zehn Arbeiterveteranen wurden durch die Landwirtschaftskammer mit Diplomen und wertvollen Denkmünzen ausgezeichnet. Herr Bothe hielt dabei eine so warm empfundene Ansprache an die alten treuen Arbeiter, daß manche Träne heimlich weggewischt werden musste. Mutter Voigt hatte dem Gute 60 Jahre gedient. Damals war sie ein zwanzigjähriges schönes Mädchen. Die roten Backen hat sie heute noch und den Ehrentanz, den sie mit dem 25 jährigen Jubiläumsjüngling Vater Lehmann tanzte, hat unsere 80 jährige Kollegin gut bestanden. Mutter Schauer und Mutter Pose sind 50 Jahre auf dem Gute. Mutter Pohle und Mutter Marschke 40 Jahre. Kollege Krause dient dem Gute 40 Jahre, Kollege Pose 37 Jahre, Kollege Strehmann 35 Jahre und die Kollegen Lehmann und Villbrandt 25 Jahre. Frau Bothe steckte diesen zehn treuen Arbeitern die Ehrenmedaille selbst an die Brust. Herr Bothe überreichte das schon eingerahmte Diplom und fügte noch ein namhaftes Geldgeschenk bei. Veteran und Betriebsrat Kollege Lehmann dankte der Landwirtschaftskammer und Herrn Bothe im Namen seiner Mitarbeiter, die heute geehrt wurden. Er forderte die jüngeren Kollegen auf, es den alten nachzutun, denn nur durch treue Arbeit könne Deutschland wieder gesunden. Die Festversammlung brachte den Alten ein brausendes Hoch und dann kam der schon erwähnte Ehrentanz. Daß 60-, 70-, ja 80-jährige Frauen noch so schwunghaft tanzen können, ist wohl auf die Landluft zurückzuführen. Das schwuppte nur so. Als Vertreter des Brandenburgischen Landarbeiterbundes sprach unser Schriftleiter Peter einige Worte des Dankes und der Aufmunterung an alle Arbeiter und Freunde. Diese Feier schloß mit dem Vers: „Wir treten zum Beten – Herr mach uns frei!“

Es setzte dann eine echte deutsche Fröhlichkeit ein, die Großmutters Mahnung beherzigte: kommt nicht so spät heim – diesmal war es wirklich früh. Es war ein schönes Fest, ein Bindeglied, ein neues Gelöbnis zur Treue und zur Arbeit.

Quelle: „Deutsches Landarbeiterblatt. Eine nationale Zeitung für alle Stände der Landbevölkerung.“
Zentralorgan des Reichslandarbeiterbundes. Monatsschrift für alle nationalen und christlich gesinnten Landarbeiter. Organ des Brandenburgischen Landarbeiterbundes. 1. Oktober 1922 (4. Jahrgang, Nr. 19)


Das oben benutzte Material entstammt dem Nachlaß von Frau Anna Bothe, unserer letzten Gutsbesitzerin, und wurde uns freundlicherweise von Herrn Hans Müller aus Nordhorn zur Verfügung gestellt.