Das Haus Dorfstraße Nr. 9 hat in der Vergangenheit schon viele Namen gehabt: Schloß, Gutshaus, Kulturhaus, Gemeindehaus ...
Wann das Haus hinter der Dorfkirche gebaut wurde, wissen wir noch nicht. Aber es ist sehr wahrscheinlich, daß an dieser Stelle schon immer das zentrale Gebäude des Rittergutes Mehrow stand.

Die Sitzungsteilnehmer Die Bezeichnung "Schloß" war wohl immer etwas übertrieben, aber auf einer (1925 geschriebenen) Mehrower Postkarte, die uns Familie Deffke zur Verfügung gestellt hat, wird das Gutshaus wirklich so bezeichnet.

Man muß ja auch bei "Schloß" nicht immer gleich an Versailles oder Sanssouci denken ...
Anderswo gab's Könige, bei uns im Dorf halt "nur" Rittergutsbesitzer ...

Elise Dietrich, die als einzige noch über die zwanziger Jahre in Mehrow zu berichten weiß, erzählt auch, daß es seinerzeit bei den Rittergutsbesitzern Bothe recht vornehm im Haus zuging. Die waren kinderlos und bewohnten allein die zwei Etagen des "Schlosses".
Im Dachgeschoß wohnte ein Teil des Personals - das bestand allein aus 6 bis 7 Leuten, die für die Bewirtschaftung des Schlosses zuständig waren.

Das war vermutlich mit ein Grund dafür, daß das Rittergut Mitte der dreißiger Jahre unrentabel wurde und von der letzte Rittergutsbesitzerin, Anna Bothe, die das Gut samt Schloß von ihren Eltern Robert und Sophie Stock geerbt hatte, verkauft wurde.

Das Gut ging 1937/38 an die Landgesellschaft "Eigene Scholle" Frankfurt/Oder, die es parzelliert und über das "Kulturamt Berlin" zwecks Errichtung einer SS-Siedlung weiter veräußert hat.

Das Gutshaus selbst wurde 1938 von einer Familie Truchseß aus Schleswig-Holstein erworben, die darin bis zum Kriegsende recht bescheiden gewohnt hat.

Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg was das "Schloß" wie überhaupt der ganze Ortskern von den sowjetischen Truppen besetzt, die erst Ende 1945 aus dem Ort abgezogen sind.
Wie es dem "Schloß" in den Jahren gleich nach dem Krieg ergangen ist, haben wir noch nicht herausgefunden. Aber ab Beginn der 50er Jahre findet sich ein kompletter Ordner "Kulturhaus" mit den verschiedensten Belegen.


Die einzige Chance, das Haus baulich zu erhalten und der Gemeinde nutzbar zu machen, bestand seinerzeit wahrscheinlich darin, daß man dem Gebäude den Stempel "Kulturhaus" aufdrückte und dann alle staatlichen Stellen und gesellschaftlichen Organisationen aufstachelte, der Gemeinde gefälligst bei der Umsetzung ihrer kulturellen Zielstellungen zu unterstützen.

In einem Antrag an den Rat des Kreises Bernau um Gewährung von außerplanmäßigen Mitteln zum Ausbau des ehemaligen Gutshauses Dorfstr. 9 vom 26.2.1955 heißt es:
"Durch den Ausbau des Gutshauses sollen für die Gemeinde Mehrow Kultur und Versammlungsräume geschaffen werden.
In der Gemeinde befinden sich keine Räumlichkeiten, in denen Einwohnerversammlungen und kulturelle Veranstaltungen abgehalten werden können,
des weiteren befindet sich keine Gastwirtschaft im Ort.
Durch diese Mißstände ist der Aufbau eines demokratischen Lebens im Dorf stark behindert.
Diese oben geschilderten Mißstände sind dem Rat des Kreises bereits seit Jahren bekannt, sie sind auch bereits in der Vergangenheit in der Presse kritisiert worden.
Bis heute wurde keine Abhilfe geschaffen."

Unterschrieben ist der Antrag übrigens von Herrn Baumgarth als Vorsitzenden der LPG, Herrn Platschick als Bürgermeister und Herrn Buttgereit als Vorsitzenden der Gemeindevertretung. Mit der Einschätzung, daß das Fehlen einer Kneipe im Dorf undemokratisch ist, haben die Herren übrigens philosophischen Scharfsinn bewiesen ...

Die erhoffte Wirkung scheint der Antrag nicht gebracht zu haben, denn am 10.6.1955 wird folgender Antrag auf Gewährung außerplanmäßiger Mittel zum Ausbau des ehem. Gutshauses Dorfstr. 11 in Mehrow Kreis Bernau an den Rat des Bezirkes Frankfurt/Oder (Plankommission) nachgeschoben:

"Durch den Ausbau des Gutshauses soll für die Gemeinde Mehrow eine Kultur- und Versammlungsstätte geschaffen werden. Die Gemeinde Mehrow mit dem Ortsteil Trappenfelde hat eine Einwohnerzahl von 406 Personen, die sich überwiegend aus den Mitgliedern der LPG, werktätigen Bauern und Arbeiterfamilien zusammensetzt. In der Pflichtablieferung und dem freien Anbau ist die LPG und die werktätigen Bauern vorbildlich, sodass wir im Kreismaßstab an zweiter Stelle stehen.
Um das kulturelle sowie das gesellschaftliche Leben besser entwickeln zu können, ist es unbedingt erforderlich, dass für Mehrow eine Versammlungsstätte errichtet wird, da sich im Ort keinerlei Lokalitäten befinden. Das Dorf befindet sich, obwohl Randgemeinde von Berlin, ca. 4 km von dem nächsten Ort sowie Bahn und Omnibusanschluss. Besonders möchten wir erwähnen, dass die sich in unserm Ort befuindliche LPG sowie der Mühlenbetrieb ebenfalls über keinen Kulturraum verfügen."

Der nachfolgende Abschnitt ist dann so verworren und inhaltslos, daß er weder zitiert noch inhaltlich widergegeben werden kann:


Irgendwann kommt dann wieder Klartext:

"Wir bitten den Rat des Bezirks, mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, uns zu unterstützen, da dieser Notstand bereits 7 Jahre in der Gemeinde besteht.
Es waren in dieser Zeit bereits des öfteren Kommissionen von verschiedenen staatlichen Instanzen hier, haben aber nur Notizen und Versprechungen gemacht. Desgleichen ist diese Angelegenheit schon oft in Zeitungen und Zeitschriften publik gemacht worden, aber etwas Positives ist nicht erfolgt, sodass die Bevölkerung in Mehrow in dieser Angelegenheit vollkommen missmutig geworden ist."



Unterschrieben haben diesmal neben dem Bürgermeister (Plastschick), dem Vorsitzenden der Gemeindevertretung (Buttgereit) und dem LPG-Vorsitzenden (Baumgarth) auch die Orts-vorsitzenden von SED, DBD, VdgB, DFD, FDJ, Nationaler Font und Freiwilliger Feuerwehr.

Diese Strategie war nicht ohne Erfolg: Im August 1955 kam die Bestätigung, daß für den Ausbau des Gutshauses zum Kulturhaus Lottomittel zur Verfügung stehen.



Man beachte, daß der Rat des Bezirkes zwar nicht von einem Schloß, aber auch nicht einfach von einem Gutshaus spricht, sondern das gute Stück "Herrenhaus" nennt, womit wir eine weitere Bezeichnung für dieses Gebäude hätten.

Insgesamt standen für den Ausbau des Kulturhauses 22.000,- DM aus Lottomitteln zur Verfügung.

Nachfolgende Unterlagen im Ordner "Kulturhaus" befassen sich fast ausschließlich mit der Beschaffung der benötigten Baumaterialien und Ausstattungsgegenstände - ein im wahrsten Sinne des Wortes Bände-füllendes Thema.

Im Frühjahr war es dann endlich so weit: Das Kulturhaus war weitestgehend eingerichtet und konnte am 1. Mai 1956 feierlich eröffnet werden. Das dies nicht ganz problemlos verlief, läßt sich auch den Akten entnehmen:



Es ist nun müßig darüber zu debattieren, ob das ein Anschlag der "Bonner Ultras" oder einfach nur Schlamperei des Handwerkers war - ein Gaudi war's bestimmt! Der Schaden war dann wohl auch schnell behoben und das Kulturhaus konnte in eine glanzvolle Zukunft starten.

Über die luxoriöse Ausstattung des Kulturhauses gibt nebenstehendes Inventarverzeichnis vom 15.6.1956 Auskunft.

Wenig später kam dann noch ein Fernsehgerät dazu. Im Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 24.1.57 heißt es dazu:

"Der Kollege Bürgermeister wies auf die Fernsehstube hin und bat um Stellungnahme der Gemeindevertretung wie sich die evtl. entstehenden Kosten bei Reparaturen des Fernsehsenders [!] verteilen sollten.
Er machte den Vorschlag, 50% die Gemeinde, 50% die LPG, da das Gerät der LPG gehört, aber der gesamten Einwohnerschaft zur Verfügung steht. Durch Handzeichen wurde dieser Vorschlag einstimmig angenommen.
Weiterhin wurde angeregt, dass die am Fernsehempfang teilnehmenden Einwohner ein kleines Entgelt entrichten könnten."

"Der Besuch der Fernsehstube von Kindern nach 8 Uhr ist nicht gestattet."

Im Dorfarbeitsplan 1957 vom 16.2.57 ist außerdem ausgeführt:

"Die Fernsehstube wird, wenn kein weiterer Bedarf vorliegt, mindestens zweimal wöchentlich geöffnet sein."


Sicher gut angekommen sind bei der Bevölkerung die regelmäßigen Filmvorführungen im Kulturhaus. Diese stellten aber an den Filmvorführer recht harte Anforderungen, wie folgendes Sitzungsprotokoll vom 8.4.59 zeigt:

"Es wurden seit längerer Zeit Klagen von Seiten der Mitbewohner des Kulturhauses darüber geführt, dass Frau G... zumeist in den Abendstunden Schmutz und Unrat aus den oberen Bodenfenstern des Kulturhauses hinausschüttet. Trotz persönlicher Verwarnung durch den Bürgermeister und schriftlicher Ansprache wurde dem nicht Folge geleistet. Im Gegenteil am Montag, d. 6.4.59 wurde der Filmvorführer mit einem Eimer dieses Unrates bedacht und auf Grund dessen Strafanzeige gestellt."