Auf grauem Band durchs Barnimer Land
Frühsommerfahrt auf der Reichsautobahn durch den Kreis Niederbarnim
Von Walter Möller

Mag man auch die ... gewaltigen grauen Verkehrsadern und Wirtschaftswege, bereits nach allen Richtungen hin befahren haben, seien es die Strecken zur See oder im Rheinland, durch die fruchtbare Mecklenburger Börde nach Hannover, oder aus der Industrie-Ebene um Leipzig und Bitterfeld hinaus durch Thüringens grüne Auen und Wälder, auf die dunkelblauen Berge des Fichtelgebirges und Bayrischen Waldes zu, und dann von München an den Saum der schneebedeckten Bergriesen, dem Wendelstein und Untersberg entlang in Richtung Salzburg: Immer wird man überrascht sein, auf einer Fahrt auf der Autobahn durch unseren Kreis landschaftliche Schönheiten kennenzulernen, die man dem Fremden, der sich noch nicht von seinem Vorurteil gegenüber der „Streusandbüchse“ freigemacht hat, wenigstens im Bild vorführen sollte, um ihm Lust zu machen, auf grauem Band durchs Barnimer Land zu fahren.

Aus der Schorfheide kommend, durchqueren wir bald hinter Schöpfurth bei Grafenbrück und Eiserbude ein Eckchen des Kreises Niederbarnim, um sogleich noch einmal eine kleine Strecke Oberbarnimer Gebiets zu durchfahren und dann in der Höhe von Prenden, in dessen Nähe am See der große Stein - ein Findling - liegt, endgültig durch das Gebiet unseres Heimatkreises gen Süden zu steuern.

Hier oben im einstigen Lande des Grafen Sparr raunen sich die hohen alten Föhren, die ihre weitausgreifenden Äste wie Arme zueinander strecken, abends, wenn die Nebelfrauen zwischen den Stämmen ihre feingesponnenen Schleier aufhängen, noch mancherlei heimliche Sagen zu. Im Mittelpunkte all des sonderbaren Geschehens steht fast immer der tolle Graf Sparr, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte, ihn beim Steinewerfen mit den heiligen drei Pfühlen als Ziel besiegte und manches Stücklein ausführte, das ihn, den Grafen Sparr, zu einer Art Eulenspiegel im nördlichen Teile der Mark gemacht hat.

Der Frühsommer, durch den unser Wagen mit vergnügtem Summen des Motors auf der Autobahn auf Lanke zu rollt, ist so recht die Jahreszeit, wieder die Sagenwelt der Altvorderen auf sich wirken zu lassen und trotz aller fortschreitenden Technik sich für Augenblicke wenigstens feiertäglich darin einzuspinnen. Ist nicht das Ginstergesträuch, an dem wir jetzt vorüberfahren, ein Stück jenes überraschenden Naturwunders, in dem unsere Väter eine verwunschene Sagenwelt zu sehen meinten? Noch vor wenigen Wochen standen die Ginsterbüsche inmitten des jungen, lichten Frühlingsgrüns zu beiden Seiten der Autobahn fast schwarz-struppig, wie mürrische, zerzauste und wüste Gesellen da, die sich um das neue Werden und Erwachen um sie her nicht im geringsten zu kümmern schienen, und nun haben sie einen Königsmantel umgehängt, dessen weitleuchtendes Blütengold die Blicke aller Vorbeifahrenden auf sich zieht.

Weit schweift der Blick nach beiden Seiten über das sanftgewellte Niederbarnimer Land, bis der Wald, die Wukuhlen-Heide, wieder näher herantritt. Silbergrauen Säulen gleich ragen die Buchenstämme auf und wölben ihre Kronen zu einer lichtgrünen Decke, durch deren Gewirk die Sonne tausend Lichter spielen läßt. Zur linken Hand öffnet sich die Szene. Unwillkürlich, ohne uns zu vergegenwärtigen, daß wir eine Brücke befahren haben, stoppen wir etwas ab, denn von unten blinkt, einem klaren, silbernen Spiegel gleich, der tief ins waldige Hügelland gebettete Hellsee auf, von dessen Ostufer

das freundliche Dörfchen Lanke herübergrüßt.

Wenn wir Zeit haben, können wir hier die Bahn auf einer Abfahrt verlassen, in das kleine Schloß, das den Arbeitsdienst beherbergt, einen Blick werfen oder eine Badepause am See einlegen.

Wieder begleitet uns auf der Weiterfahrt Wald zu beiden Seiten. Wo er linker Hand aufhört, gibt die Feldmark den Blick auf Ladeburg, das bereits im Nachbarkreise liegt, frei, während von Westen die hellen Ziegeldächer von Schmetzdorf zu sehen sind. Gleichzeitig aber wachsen, fast in unserer Fahrtrichtung,

die Türme des märkischen Nürnbergs Bernau

empor. Noch haben wir kein übersichtliches Bild der alten Hussitenstadt, an deren Peripherie viele neue und ausgedehnte Bauten entstanden oder im Werden begriffen sind. Sobald wir aber die Brücke passieren, die im Zuge der Straße von Wandlitz nach Bernau über die Autobahn hinwegführt, erstreckt sich beim Rückwärtsblicken die reizvolle Silhouette der Stadt mit den trutzigen Tortürmen und der ehrwürdigen Marienkirche, unweit der der kleine Turm der Kapelle aufragt als Künder märkischer Widerstandskraft und zähen Kampfesmutes, wenn es um den Schutz der Heimat geht. In reizvollem Gegensatz zu den historischen Türmen und Mauern stehen die ausgedehnten Neubauten, die sich bis weit vor die Tore der einst befestigten Stadt erstrecken. ...

Gleich hinter dem Schienenweg nach Stettin blitzt ein schmales, geschlängeltes Silberband aus dem Grün der Felder und Siedlungen auf,

die noch junge Panke ist es,

die nahe bei Bernau im Wiesenland ihr Quellgebiet hat und munteren Laufes zur Spree strebt. Das teils flache, teils leicht gewellte Land läßt zu beiden Seiten den Blick weit über Siedlungsgärten, Felder und Wiesen schweifen, hier unterbrochen von einer Straße oder einem Feldweg, die oft von blühenden Obstbäumen oder Kastanien umsäumt sind, die eben ihre festlichen Lichter aufstecken wollen, oder aus geringer Entfernung zeigen sich schmucke Dörfer wie Zepernick, Schwanebeck sowie auf der gegenüberliegenden Seite Birkholz mit dem holzgefügten Kirchturm. Gleich darauf sind wir an der Stelle, wo unsere Stettiner Autobahnstrecke in den Ring um Berlin, und zwar in seine Osttangente einmündet. Hinter Blumberg wird Seefeld mit seinem weitspiegelnden See sichtbar. Wir haben schon die Abfahrtstrecke zur Straße nach Werneuchen und Freienwalde hinter uns gelassen. Die kleine Heide bei Mehrow weist mit ihrem Namen Trappenfelde auf das Vorkommen des märkischen Vogel Strauß, die Trappe, hin. Wenig weiter östlich, nahe der Kreisgrenze, liegt Krummensee, dessen Herrschaft einst manchen Strauß auszufechten hatte. Schon auf der Höhe von Seeberg und Hönow wird das hochragende massige Wahrzeichen Neuenhagens, Rathaus und Wasserturm, sichtbar.

Immer wieder kann man beobachten, wenn man Siedlungen und Fabrikschlote hinter den Feldern und den typische märkischen Dörfern aus der friderizianischen und noch früheren Zeit aufragen sieht, daß

Landwirtschaft und Industrie die großen wirtschaftlichen Faktoren

des Kreises sind. Das zeigt sich auf verhältnismäßig kleinem Raum in der Gegend von Vogelsdorf, Petershagen und Tasdorf, hinter dem die weite Fläche des Stienitzsees aufblitzt. Allmählich tritt auch der Wald wieder näher an die Autobahn, die hier im tiefen Einschnitt ihr Band durch das grüne Revier zieht, dort auf hoher Böschung sich nach Süden streckt. Die Zahl der Parkplätze wird größer. Sie laden mit Bänken unter schattigen Bäumen und prächtigen Fernsichten zu längerem Verweilen ein. Breit öffnet sich zu beiden Seiten fast überraschend ein Fluß- und Seental. Türkisfarben dehnt sich der Kalksee bis zu den Füßen von

Kalkberge und Rüdersdorf

aus. Von Woltersdorf, dessen Tal die Autobahnbrücke weit überspannt, nahen schlanke Boote. Zelte mit frohen, sonngebräunten Sportlern stehen an den Waldufern Von hoher Bergeswarte grüßt der Aussichtsturm herüber. Nur schwer kann man sich von diesem Bilde trennen, dem kaum ein zweites von gleicher Schönheit im Reichsautobahnengebiet Norddeutschlands zur Seite gestellt werden kann.

Wieder nimmt uns der Wald auf. Frischgrüne Wiesen, auf die am frühen Morgen oder Abend das Wild heraustritt, das, wie die „Wildwechsel-Schilder“ an der Strecke zeigen, auch oft die Autobahn überquert, bieten immer wieder reizvolle Ausblicke. Auf der Dubrow, dem lieblichen Flüßchen durch das gleichnamige Reiherhorstgebiet, herrscht bereits reges Wassersporttreiben. Ein Schild kündet rechtzeitig

die Spree

an, die hier noch ein klarer, sich durch Wald- und Wiesengründe windender Flußlauf ist, der noch nicht von der trüben Trägheit der in Steinmauern eingeengten Wasserstraße innerhalb Berlins an sich hat. Hier ist unsere Fahrt zu Ende; denn nun verläßt die Autobahn den Kreis Niederbarnim, um nach wenigen Kilometern in die Strecke nach Fürstenwalde und Frankfurt zu münden. Wir aber wenden, um im Gebiet der Duberow, in Erkner am Ufer des Dämmeritzsees mit seinem regen Boots- und Dampferverkehr oder am Ufer des malerischen Flüßchens, wenn nicht am schönen Werl- oder buchtenreichen Möllensee zu rasten.

Kaum mehr als 65-70 Kilometer ist die Autobahn lang, die wir innerhalb unseres Heimatkreises durchfuhren, aber welch wechselnde Eindrücke landschaftlicher Schönheiten vermittelt sie.

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Quelle: Kalender 1940 für den Kreis Niederbarnim, (Herausgegeben 1939), Seite 34-36
Herausgeber: Kreisausschuß des Kreises Niederbarnim
Druck und Kommissionsverlag: Wilhelm Möller GmbH, Oranienburg b. Berlin