Heimat und Welt 27/1935 (6.7.1935)


Max Rehberg:
Niederbarnimer Volkskunde
[Teil 1: Hufenzahlen, Dorfformen]

Die Überschrift darf keineswegs so verstanden werden, als ob es eine besondere Niederbarnimer Volkskunde gäbe. Der Niederbarnim ist volkskundlich ein Teil von Niederdeutschland, besser gesagt, von Ostdeutschland. Ostdeutschland aber ist Kolonisationsgebiet des 12. und 13. Jahrhunderts, hat also keine einheitliche Bevölkerung, wie z. B. das Land westlich der Elbe. Siedler aus den verschiedensten Gegenden haben das vorübergehend slawische Gebiet eingedeutscht. Dadurch ist die volkskundliche Erforschung erschwert, zumal wir über die Herkunft der Siedler so gut wie gar keine Urkunden haben. Hinzu kommt noch, daß der Dreißigjährige Krieg einen weitgehende Umschichtung der Bevölkerung gebracht hat, die durch die Kolonisationsbestrebungen der Hohenzollern im 17. und 18. Jahrhundert (Gr. Kurfürst, Friedrich der Große) noch erweitert worden ist. So ergeben sich für die volkskundliche Erforschung des Niederbarnim besondere Eigenheiten, die im folgenden näher erläutert werden sollen.

Die endgültige Erwerbung des Barnimlandes durch die Askanier fällt in die Zeit um 1231. Die Brüder Johann I. und Otto III. erhielten den Barnim von „einem Herrn Barnim“, wie die Brandenburgische Fürstenchronik erzählt. Dieser „Herr Barnim“ war sicher ein pommerscher Herzog. Unmittelbar nach dem Uebergang des Barnimlandes in askanischen Besitz setzte auch die deutsche Besiedlung ein.

Die slawische Bevölkerung des Gebietes war nicht beträchtlich. Man schätzt die Slawen des Havellandes auf etwa 14000, die der ganzen Mittelmark auf einige 20000. Leider ist die Zahl der slawischen Funde aus dem Barnim bisher noch sehr gering, so daß wir uns aus ihnen kein vollständiges Bild über die Dichte der Slawenbevölkerung machen können. Wir müssen schon die Orts- und Flurnamen mit zu Hilfe nehmen. Dann ergibt sich, daß sich slawische Siedlungen wohl nur an den Rändern des Niederbarnim - Havel, Spree-, Panke-, Finowsenke - und an den Seengruppen (Waldlitz, Lanke, Hammer, Woltersdorf, Seenrinne der Löcknitz) befunden haben. Die waldreiche Sanderfläche der westlichen Abdachung und die Grundmoränenhochfläche des Ostens waren anscheinend unbesiedelt.

Man könnte versucht sein, im Vergleich mit der Kolonisation des Havellandes anzunehmen, daß auch im Barnim die Besiedlung von Westen nach Osten fortgeschritten sei, daß u. a. der Burgflecken Bötzow (Oranienburg), der schon 1216 als erster Ort des Barnimlandes urkundlich genannt wird und zwar als Grenzort des Brandenburger Bischofssprengels - sicher mit Kirche und Pfarre ausgestattet - ein Ausgangspunkt der Besiedlung wurde. Dafür sind jedoch keine Anzeichen vorhanden. Vielmehr scheint die Besiedlung zunächst einer alten Handels- und Militärstraße gefolgt zu sein, die von Spandau aus über Berlin nach Hohenfinow und damit an die Oder führte. An ihr liegen die Dörfer mit der größten Hufenzahl; Weißensee mit 68, Ahrensfelde mit 72, Blumberg mit 124, Seefeld mit 60, Beiersdorf mit 80, Heckelberg mit 72 Hufen. An einer Zweigstraße von Falkenberg nach Altlandsberg liegt Hönow mit 118 Hufen. An der Nebenstraße von Werneuchen nach Bernau finden wir Weesow mit 77, Willmersdorf mit 84 und Börnicke mit gleichfalls 84 Hufen. Der Weg von Bernau nach Biesenthal geht durch Ladeburg mit 80 und Rüdnitz mit 88 Hufen. Westlich der Straße Berlin - Blumberg treffen wir Lindenberg mit 74 und Schwanebeck mit 62 Hufen. Vergleichen wir damit die Hufenzahl der im westlichen Niederbarnim gelegenen Dörfer, so ergibt sich ein ganz bedeutender Unterschied: Schönerlinde 48, Basdorf 38, Tegel 32, Zühlsdorf 42, Wensickendorf 44 Hufen. Der Geschichtsforscher Pfarrer Siegfried Passow hat nun die These aufgestellt, daß die ältesten Dörfer mit der grüßten Hufenzahl ausgestattet wurden, denn Dörfer mit einer größeren Einwohnerzahl konnten sich gegen feindliche Ueberfälle leichter verteidigen, als solche mit wenigen Einwohnern. Sie bedeuteten auch eine stärkere Sicherung für die Handels- und Militärstraße. Die kleineren Dörfer entstanden erst dann, als das Land genügend gesichert war. Für den Niederbarnim läßt sich gegen Passows These kaum etwas einwenden. Man beobachtet hier deutlich eine Abnahme der Hufenzahl von Osten nach Westen. Die Kolonisation scheint zuerst in der Richtung nach Nordosten hin ihren Fortgang genommen zu haben. d. h. in der Richtung der genannten Militärstraße, und von diesem Siedlungsstreifen aus schritt sie dann nach Osten und Westen zu fort. Es scheint sich auch von Berlin aus nach Norden (Rosenthal, Blankenfelde, Schildow) ein solcher Fortschritt vollzogen zu haben. Für Passows These spricht auch der Umstand, daß sich in den Dörfern an und in der Nähe der nach Hohenfinow verlaufenden Militärstraße die ältesten Dorfkirchen des Barnimlandes befinden. Es sind spätromanische Bauten mit reichem Grundriß: quadratischem Westturm, Schiff, eingezogenem Chor und halbrunder Apsis, alles aus sorgfältig behauenen Feldsteinen aufgeführt. Einzelne dieser trotzigen Feldsteinkirchen sind geradezu Perlen unter den märkischen Gotteshäusern, z. B. die Kirchen in Lindenberg und Hönow. Alle diese Bauten stammen aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, also aus der Zeit, in der die ersten Dörfer des Barnim angelegt wurden.

Wie die Anlage eines Dorfes in ihren Einzelheiten vor sich ging, das soll in einem späteren Aufsatz eingehend behandelt werden. Für die Volkskunde kommt es uns heute besonders auf die Dorfformen an, die im Niederbarnim anzutreffen sind.

Man unterscheidet im allgemeinen drei Hauptformen der Dörfer: Rundlinge, Straßen- und Angerdörfer, doch reichen diese Typen nicht zur Bestimmung der Dorfformen aus. Wir müssen auch für unsere engere Heimat noch zwei Typen hinzunehmen, das Platzdorf, das drei- oder viereckig sein kann, und die Sackgasse. Beim Rundling ist nur ein Zugang zum Dorfe vorhanden, und die Gehöfte liegen in Kreis- oder Hufeisenform um einen Platz herum, auf dem sich die Kirche erhebt. Rings um das Dorf breitet sich meist eine sumpfige Niederung oder ein See (Wandlitz) aus. Die früher verbreitete Meinung, daß der Rundling eine slawische Dorfform sei, hat sich als nicht haltbar erwiesen. Beim Straßendorf finden wir eine mehr oder minder breite Straße, zu deren beiden Seiten sich Gehöfte erstrecken. Die Kirche liegt innerhalb der einen Gehöftreihe. Das Angerdorf stellt eine Umformung des Straßendorfes dar, bei der sich die Straße in der Mitte des Dorfes bogenförmig nach außen erweitert, so daß ein breiter „Anger“ entsteht, der von der Kirche und dem Friedhof eingenommen wird und auf dem nicht selten noch weitere Gebäude, z. B. das Schulhaus, errichtet worden sind. Das Platzdorf zeigt als Mittelpunkt einen drei- oder viereckigen Platz, von dem mehrere Straßen ausgehen. Die Sackgasse endlich ist meist von geringer Länge und hat an dem einen Ende keinen Ausgang, da sie sich an einen See oder einen Fluß anlehnt. Die Sackgassen sind wohl in den meisten Fällen wendische Fischersiedlungen gewesen (Woltersdorf).

Wenn nun im folgenden die Niederbarnimer Dörfer nach ihrer Form aufgeführt werden, so sind natürlich die Gründungen der neueren Zeit (16.-20. Jahrhundert) nicht berücksichtigt. Bei ihnen, besonders bei den Schöpfungen Friedrich des Großen, herrscht meist das schmale Straßendorf vor.

Angerdörfer: Basdorf, Birkholz, Blumberg, Bollensdorf, Börnicke, Dahlwitz, Eggersdorf, Eiche, Fredersdorf, Germendorf, Glienicke, Groß-Schönebeck, Herzfelde, Hönow, Kleinschönebeck, Mühlenbeck, Münchehofe, Neuenhagen, Petershagen, Rehfelde, Rüdersdorf, Schmachtenhagen, Schönerlinde, Schönfließ, Schönow, Schwanebeck, Seeberg, Seefeld, Stolpe, Stolzenhagen, Vogelsdorf, Wensickendorf, Werder, Zehlendorf, Zinndorf.

Straßendörfer: Ahrensfelde, Klosterfelde, Krummensee, Lindenberg, Löhme, Nassenheide, Prenden, Schöneiche, Zepernick (rechtwinklig gebogen), Zühlsdorf.

Rundlinge: Lichtenow, Wandlitz


Platzdörfer: viereckig: Hennickendorf, Ruhlsdorf, dreieckig: Kagel, Schildow

Sackgasse: Woltersdorf

Undeutlich Form: Borgsdorf, Hammer, Hohen Neuendorf, Kienbaum (Straßendorf ?), Lanke, Lehnitz, Mehrow.

Mehrere Dörfer sind im Anschluß an einen Rittersitz entstanden und werden daher wohl auch als Gutsweiler bezeichnet. Hierher rechnen z. B. Mehrow, Lanke, Hammer. Lehnitz ist jedenfalls aus einer wendischen Fischersiedlung hervorgegangen.

Verschiedene der aufgeführten Dörfer haben im Laufe der Jahrhunderte durch Brand und Krieg (Dreißigjähriger Krieg) eine Umformung erfahren, so daß die ursprüngliche Form nicht überall ganz gewahrt ist. Im allgemeinen kann man jedoch sagen, daß beim Wiederaufbau sehr konservativ verfahren wurde. Ein Dorf, das bereits im 15. Jahrhundert gänzlich zerstört wurde und erst nach Jahrzehnten wieder erstand, ist Nassenheide.



Quelle: "Heimat und Welt / Blätter zur Pflege des Heimatgedankens", Beilage zum Niederbarnimer Kreisblatt
Fundort: Staatsbibliothek zu Berlin - PK, Zeitungsabteilung im Westhafenspeicher, Signatur Ztg 1262 MR