Heimat und Welt 39/1928 (13.5.1928), Seite 314/315
Oswald Meyer - Hönow:
Flurnamen

Die Städte spiegeln ein gut Stück ihrer Ortsgeschichte in den Namen ihrer Straßen wider. Solche Straßennamen hat das Dorf nicht. Aber es hat dafür den unendlich reicheren Schatz, den der Flurnamen. Kein Berg, keine Wiese, kein Hügel, kein Ackerstück ist eigentlich ohne Namen. Aber wie viele sind leider schon in unsern Tagen in Vergessenheit geraten. Wir Heutigen geben ja oft so leichten Herzens so vieles aus den Händen, was wir von den Vätern geerbt haben. Auch diese Flurnamen sind ein alter Schatz aus dem Vätererbe. Und es klingt in diesen alten Namen, die meist Jahrhunderte weit zurückzuverfolgen sind, etwas von Heimatglockenklang. Ein gut Stück Heimatgeschichte kann man aus diesen Namen lernen. Dorfgeschichte liegt in diesen alten Bezeichnungen, und viele Erinnerungen an alte Zeiten leben in ihnen weiter. Sie sind altes Volksgut, der Niederschlag der dörflichen Vergangenheit. Es lohnt sich daher, einmal die heimatlichen Flurnamen genauer anzusehen. -

Da lag dicht am Dorfe Hönow, im Anschluß an den Haussee, der sogenannte Retsee, 1882 noch Röthsee genannt. Und die Erinnerung steigt auf, wie fleißig noch unsere Großmütter und älteren Mütter gesponnen, und wir verweilen mit ihnen im Geiste in den Spinnstuben. Es handelte sich bei uns um das Flachsspinnen. Nachdem die Flachsstengel mit der Wurzel ausgerauft, auf dem Felde getrocknet und von den Samenkapseln befreit waren, wurden sie geröstet, oder wie man in Niederdeutschland sagte, gerötet. Hier wurde nach Mitteilung des verstorbenen früheren Gemeindevorstehers Hörnicke die Kaltwasserröste im weichen Wasser im Retsee angewandt. Die Flachsstengel wurden, zu Bündeln vereinigt, ins Wasser auf eingeschlagene Pfähle gelegt, damit der gummiartige Klebstoff durch den eintretenden Verwesungsprozeß zerstört werden sollte, so daß sich die Bastfasern leicht ablösen ließen. Sie durften aber nur solange im Wasser liegen, bis der Klebstoff zerstört war. War der richtige Zeitpunkt versäumt, so griff der Verwesungsstoff die Bastfaser selbst an, und der Flachs ward minderwertig oder gar unbrauchbar. Nach dem Retsee kamen viele Leute selbst aus dem benachbarten Biesdorf und Kaulsdorf.

War der Flachs nach der weiteren Zubereitung gesponnen, so fuhr ihn unser Landmann zum Weber nach Bernau, dessen Arbeit dann als Leinwand zurückkam und nun noch gebleicht werden mußte. Noch heute führt ein Flurstück am Dorfausgang nach Eiche die Bezeichnung „Bleichplatz“. Durch ein großes Laken, in dem Asche lag, wurde kochendes Seewasser gegossen, und dann lagen in den Gärten am See und auf dem Bleichplatz am See die langen Leinwandstücke, bis sie schneeweiß waren.

Da gibt es ein Flurstück „Hohen“ genannt. Wer weiß denn noch, daß dies aus dem Wort Hufen entstanden ist? Und wir denken zurück an die Zeit, da Hönow noch seinen eigenen Pfarrer hatte (bis 1794) und die Bezeichnung zeigt uns, daß von alters in unseren Dörfern alle öffentlichen Dienste durch Land entschädigt wurde[n]. So meldet bereits das Karolingische Landbuch 1376, daß die Hönower Pfarre 6 Hufen Land für den Pfarrer und 1 zur Unterhaltung der Kirche besaß, eine verhältnismäßig hohe Hufenzahl, für die eine Erklärung noch nicht gefunden wurde.

Hinter dem Kirchhofsberge, nur wenige Schritte vom See entfernt, lag hart an diesem ein kleiner, runder, steil abschüssiger Hügel, heute noch der Blocksberg genannt. Der Berg ist längst abgetragen, aber sein Name lebt und der Volksmund greift für seine Namenserklärung zur Sage und Geschichte. Hier war wahrscheinlich in wendischer Zeit eine alte heidnische, weit bekannte Götzendienststätte. Und hier gaben sich die Hexen in der Walpurgisnacht ein Stelldichein, und allerlei Spuk hat sich hier zugetragen, von dem man nichts mehr weiß und an den man auch nicht mehr glaubt.

Ins Reich der Geschichte führt bei der Namenserklärung die Flurbezeichnung „Franzosenkirchhof“. Das ist die äußerste Ecke der Herrendike, die Bezeichnung für ein Waldstück an der Mehrower Chaussee, für das mir noch eine Erklärung fehlt, am weitesten nach Mehrow gelegen. Eine unheimliche Ruhe lagert über dem verwilderten, mit mannshohem Ginster und dichtem Unkraut bestandenen Flurstück und ruft die Erinnerung wach an die Zeit der Franzosenbesetzung von 1806-1807. Hier wurden nach einer mündlichen Ueberlieferung 410 Franzosen aus dem Lager in der jetzt abgeholzten Falkenberger Heide beerdigt.

Die Erinnerung an vergangene Wirtschaftsweisen lebt weiter in den Flurnamen Bullenland und Upstall, nämlich der Erwerb des Gemeindestieres und Beiers ward ehedem auf gemeinschaftliche Kosten bewirkt. Die Unterhaltung erfolgte durch den Schulzen gegen Nutzung des Düngers aus dem Hirtenstalle. Dafür war auch die Bullenwiese und das Bullenland ausgesondert. Nach Ausführung der Separation, bei uns nach etwa 1850, ist der gemeinschaftliche Beier nicht mehr gehalten worden, wogegen zur Unterhaltung des Bullen der Reihe nach 4 Morgen Gerstland 2. Klasse und 2 Morgen Grundhütung (die Bullenwiese) ausgesetzt und nach dem Hufenbesitzstande aufgebracht worden. Im Laufe der Separation sind aber das Bullenland und die Bullenwiese wieder verkauft worden, da die Beibehaltung eines gemeinschaftlichen Bullen nicht für nötig erachtet wurde. Die Aeltesten unseres Dorfes konnten sich des Namens von ihren Vätern noch entsinnen, die genaue Lage konnte mir leider nicht mehr angegeben werden, wohl aber die Stelle, wo unser Upstall gelegen haben soll, nämlich nach Mitteilung des verstorbenen Gemeindevorstehers Karl Hörnicke im jetzigen H. Hörnick'schen Garten und Schulacker, diesseits des Haussees. Man unterschied eben Groß- und Kleinvieh. Kleinvieh waren Pferde und Gänse. Diese trieb der Pferde- oder Gänsehirte, er selbst mit seiner Familie oder mit angenommenen Knechten. Sein Hauptwirkungsfeld war der Upstall oder die Nachtkoppel, der Sommeraufenthalt der Ortspferde. Upstall von UP = Dämmerung = Morgenweide = später Nachtweide und -stall von stahl = Stadel = Stadeln, d.h. Stätte, Platz, also Upstall = Nachtweidestätte, Nachtheinung, Nachthünung, Nachthönung. Er diente, wie gesagt, für die Weide und Unterbringung des Zugviehes; ganz besonders der Pferde, die den ganzen Sommer draußen verblieben und nicht in die Dorfställe kamen. Wer sein Zugvieh brauchte, mußte es vor 8 Uhr morgens aus dem Upstall geholt haben, sonst mußte er dem Hirten ins Hüterevier nachlaufen. Der Upstall ist ein mit Zäunen befriedetes Feldstück. -

Auch Hönow hat einen Kolk. Dunkel und unergründlich ist die Herkunft des Wortes und das Ding selbst. Der Kolk ist in der Kette unserer vielen Seen ein Stück, ein Strudelloch, unergründlich.

Von den Wenden wurde einst die Bezeichnung Zoche herübergenommen. Die Zoche ist eine Art Trocken- oder Dürrenbach, der eigentlich nur bei nassem Wetter zur Geltung und Wirksamkeit kommt, ein Wasserfaden in ziemlich breiter, mooriger Senke. Dies besagt auch sein slawischer Name sucha = Dürrenbach, Trockenbach. Sehr auffallend zeigen auf der Chaussee Hönow - Neuenhagen die breiten Wiesenufer, wie weit die Zoche zusammengetrocknet ist, deren schwacher Wasserfaden jetzt nur fleißigem Räumen seine Existenz verdankt. -

Auch die Bezeichnung Baalstaffsee gibt viel zu denken. Giertz glaubt die Erklärung vielleicht aus dem Wendischen abzuleiten bial (y) staw = weißer See. Es liegt mir hier nicht daran, Erklärungen nachzugehen, dieser Aufsatz sollte nur die Anregung geben, alten Flurnamen nachzuspüren. -

Unser Haussee führt an seinem Beginn die Bezeichnung „Herrenfahrt“ und an seinem Ende heißt er „Küchentog“. Woher diese Bezeichnungen? Bei niedrigem Wasserstand ist es möglich, durch den Haussee an seinem Beginn nach den gegenüberliegenden Ländereien durchzufahren. Da aber doch eine gewisse Gefahr immerhin mitverbunden, benutzten nur die Herren, die Besitzer, diese Fuhrt, und daher „Herrenfohrt“. Und wenn unsere Besitzer das ihnen sein Jahrhunderten zustehende Recht der großen Fischerei auf dem Haussee ausübten und den ganzen Tag gearbeitet und nichts gefangen, versuchten sie am Ende des Haussees noch einmal ihr Glück in einem letzten Zuge, um wenigstens für die Küche noch ein Gericht zu haben, und daher der „Küchentog“.

Die Ländereien auf der linken Seite der Mehrower Chaussee heißen heute noch Wöhrden. Die Namenserklärung für dieses Flurstück führt wieder in ganz alte Zeiten zurück, in die Zeiten, da noch ein scharfer Unterschied zwischen Bauer und Kossät bestand. Der Kossate oder Kotsate trieb anfangs keine Landwirtschaft und hatte auch keine Hufen. Ihm genügte daher mit geringem Nebengelaß die Kothe, in der er saß, daher sein Name Kotsasse, Kossate, Kossät. An Land erhielten die Kossäten anfänglich bei uns hinter ihrer Hütte nur Gärten oder Wörden (Wurthen, Worthen - von guarda) die Wöhrden sind also ursprünglich Gärten.

Wenn wir heute von „Hedicken“ hören, so wissen wir, welcher Wald, welche Heide damit gemeint ist. In den letzten 20 Jahren haben wir schon 2 Waldstücke verschwinden sehen. Und wenn die Hedicken einst abgeholzt und das Land bebaut sein wird, wird man noch immer von ihr sprechen und die Gegend so nennen.

Hönow hat nach den alten Aufzeichnungen auch seine wüsten, butenmalischen Hufen gehabt. Sie lagen wohl nach der Krummenseer Grenze. Die Entfernung von Hönow nach dem Nachbardorf Krummensee ist im Verhältnis zu den übrigen Nachbardörfern ungeheuer groß. Und wenn man heute noch sagt, daß einst zwischen Hönow und Krummensee noch ein Dorf gelegen, wenn wir wissen, daß Hönow an Areal eine auffallend große Hufenzahl besaß, könnte dann nicht die alte Bezeichnung „wüste Hufen“ zu einer wertvollen Geschichtsquelle werden? -

Wir wissen noch, warum der Wasserarm zwischen dem 2. und 3. See der Maschenkanal genannt wird. Aber wenn wir die Augen geschlossen und unsre Nachfahren im Leben stehen, wird man's dann noch wissen, daß nach dem Arbeiter Wilhelm Maschen, der diese Arbeit ausführte, dies Wasserverbindungsstück so genannt wurde?

So manche Bezeichnung und mancher Name sind heute unverständlich und es bedarf ernster Forschung, um das Dunkel aufzuhellen. Aber es ist eine Arbeit, des Lohnes wert. -

So ist es, wie schon dieser kurze Abriß zeigt, ein buntes leben, das aus diesen alten Flurnamen zu uns spricht. Wie unendlich armselig dagegen die Bezeichnungen auf modernen Flurkarten und die trockenen, wenn auch natürlich mathematischen genauen Angaben in den Grundbuchämtern. Zum deutschen Dorf gehören eben auch die alten Flurnamen, die wir hegen müssen als ein Erbstück aus unserer Väter Tagen. Wir haben wahrlich auf allen Gebieten schon genug deutsches Vatererbe verschleudert. „Was Du ererbt von deinen Vätern hast. erwirb es. um es zu besitzen.“


Quelle:
„Heimat und Welt / Blätter zur Pflege des Heimatgedankens“, Heft 39/1928 (13.5.1928), Seite 314 / 315
Fundort: Stadtarchiv Bernau bei Berlin