Wenn es aus unserem "Nachbardorf" Berlin schon mal was zu berichten gibt, dann nichts Gutes. Als ob die "Hertha", die nun wohl nach dem Abstieg von "Energie Cottbus" wieder zum Lieblingskind der Brandenburger in der Bundeliga avancieren wird, nicht genug Kummer hat - vor 75 Jahren hat sie auch noch einen ganzen Straßenbahnwaggon Fans eingebüßt. Im Niederbarnimer Kreisblatt vom 17. April 1928 haben wir folgenden Artikel gefunden:



Schweres Straßenbahnunglück in Berlin
Sechs Tote und über hundert Verletzte

Berlin, 16. April

Nach Schluß des Fußballspiels im Deutschen Stadion ereignete sich gestern nachmittag an der Ecke der Rennbahn- und Heerstraße ein schweres Straßenbahnunglück. Ein Straßenbahnzug, der aus drei Wagen bestand und voll besetzt war, wurde, die steile Straße herabfahrend, aus den Schienen geworfen und stürzte dabei um. Bisher wurden sechs Tote und zahlreiche Verletzte festgestellt.

Ueber das furchtbare Unglück, wie es in diesen Ausmaßen in der Geschichte der Berliner Verkehrsunfälle fast überhaupt noch nicht geschehen ist, erfahren wir folgende Einzelheiten: Die Katastrophe ereignete sich am Sonntag um 17.15 Uhr in der Heerstraße. Dort entgleiste an der Einmündung der Rennbahnstraße in die Heerstraße ein

vollbesetzter Straßenbahnzug der Linie 38E,

bestehend aus einem Triebwagen und zwei Anhängern, der sich auf der Fahrt nach dem Stadtinnern befand und Teilnehmer an dem Meisterschaftskampf zwischen des Fußballklubs Hertha B.S.C. und Tennis-Borussia im Deutschen Stadion im Grunewald heimwärts bringen wollte. Der Triebwagen und die beiden Anhänger wurden infolge der Schlüpfrigkeit der Schienen durch den vorher gefallenen Regen und Schnee mit solcher Wucht aus den Schienen geschleudert, daß sämtliche Wagen quer über die Straße geworfen wurden. Unter dem

unbescheiblichen Trümmerhaufen

fand man sechs Tote, während 19 Schwerverletzte und etwa 70 bis 80 Leichtverletzte von der sofort alarmierten Feuerwehr und dem Rettungsamt geborgen werden mußten. Das Unglück spielte sich mit einer so großen Schnelligkeit ab, daß die meisten Fahrgäste durch die Fensterscheiben auf den Fahrdamm geschleudert und sich sogar ein Passagier, der sich durch Abspringen retten wollte, noch im Sprung von dem umkippenden Wagen umgeworfen und zerschmettert wurde.

Der Feuerwehr und den Beamten des Rettungsamtes, das sofort vier Wagen zur Bergung der Verunglückten an die Unglücksstelle sandte, bot sich ein furchtbarer Anblick dar, der selbst Männern, die bei zahlreichen Katastrophen Helferdienste geleistet hatten, das Blut in den Adern erstarren ließ. Auf der Heerstraße waren die drei Straßenbahnwagen fast

zu einem Dreieck übereinandergeworfen.

Schon von Weitem hörte man das Schreien und Wimmern der Verunglückten, die kurz vorher noch mit Interesse einem sportlichen Wettkampf gefolgt waren und deren Sonntagsvergnügen einen so jähen Abschluß gefunden hatte. In weitem Umfange war die Heerstraße mit Glassplittern über und über besät, sämtliche Trümmer waren von Blutspritzern gerötet und die Kleidungsstücke der Straßenbahninsassen, Hüte, Schirme, Koffer usw., lagen in furchtbarem Durcheinander zwischen den Gleisen und Trümmern. Mehrere Personen lagen, von dem umgestürzten Wagen eingequetscht, am Boden, ohne sich befreien zu können.

Die Opfer der Katastrophe

Die Toten, der 53 Jahre alte Bankbeamte aus der Friedrichstraße 213, der Kaufmann Willy Selter aus Berlin, der 42jährige Händler Franz Pachale aus der Friedrichsberger Straße 6, ein ungefähr 20jähriger junger Mann und ein älterer Verheirateter, deren Identität auch noch nicht festgestellt ist, wurden nach dem schauhause gebracht. Die Frau des tödlich verunglückten Händlers Pachale, die schwer verletzt ins Hildegard-Krankenhaus gebracht wurde, verstarb in den Abendstunden.

Die Verletzten sind überwiegend Berliner. Von außerhalb befinden sich nur zwei Besucher des Wettspiels aus Rathenow unter ihnen. Zu den Verletzten zählen auch der Fahrer und die Schaffner der umgestürzten drei Wagen. Die Krankenhäuser der westlichen Bezirke Berlins haben die meisten der Opfer aufgenommen, von denen mehrere sofort operiert werden mußten.

Die Ursache des Unglücks

Die Berliner Straßenbahn-Betriebsgesellschaft erklärt, das Unglück am Stadion sei ihrer Ansicht nach darauf zurückzuführen, daß der Fahrer auf der abschüssigen Strecke die Gewalt über seinen Zug verloren habe, so daß die Wagen infolge der großen Geschwindigkeit an der Kurve aus den Schienen sprangen. Die sofort eingeleitete Untersuchung habe ergeben, daß die Triebwagenbremse gewirkt hat. Der Fahrer habe insofern gegen seine Dienstvorschriften verstoßen, als er nicht sofort durch Notsignal die Schaffner veranlaßte, die Handbremse der Wagen anzuziehen. Er müsse die Geistesgegenwart völlig verloren haben. Der Fahrer sei seit 18 Jahren im Dienst und habe als vollkommen zuverlässig gegolten.