Schon seit einiger Zeit versuchen wir etwas über die Fremd- und Zwangsarbeiter in Erfahrung zu bringen, die während des Krieges zusammen mit Kriegsgefangenen hier im Dorf beschäftigt waren. So richtig fand sich da aber kein Ansatzpunkt, da kaum Namen und erst recht keine Adressen bekannt waren.
Wo soll man da anfangen zu suchen ?
Aber manchmal ist das Internet ein Segen: Sowohl wenn man etwas sucht, als auch, wenn man selbst gesucht wird. Schön, daß es auch sinnvolle Internet-Anwendungen gibt und noch schöner, wenn man damit was Gutes tun kann.

So traf im März 2003 ganz unerwartet eine eMail ein, in der ein Mitarbeiter des Landesverwaltungsamtes in einer Zwangsarbeiterangelegenheit um Auskunft bat:

... ich habe Ihre Seite im Internet gefunden, und setze starke Hoffnungen auf Sie und Ihre Lokalkenntnisse.

Ich bin von der Koordinierungsstelle für die Auskunftsersuchen von Zwangsarbeitern, bei uns laufen sämtliche Anfragen zusammen, die Berlin betreffen. Nun habe ich die Anfrage einer Dame vorliegen, die angibt, in der SS-Siedlung Trappenfelde bei B... K... gearbeitet zu haben. Glücklicherweise habe ich dank Ihrer Seite nun bereits die SS-Siedlung Trappenfelde lokalisieren können; die weitergehende Frage lautet
a) wer hat möglicherweise Meldeunterlagen
b) gibt es die Möglichkeit, etwa per Telefonbuch o.ä. die Existenz von Herrn K... in dieser Siedlung nachzuweisen.

Wenn wir das können, dann würde ich der Dame nämlich eine Plausibilitätsbescheinigung schicken können, und Sie kommt dann hoffentlich bald in den Genuss der "Entschädigung". Dabei baue ich auf Sie und würde mich freuen, wenn Sie mir weiterhelfen können. ...

Nun konnten wir zwar keine Meldeunterlagen oder Telefonbucheinträge beibringen, aber aus dem Stand bestätigen, daß der Bauer K... hier in Trappenfelde eine der Siedlerstellen besaß, die nach der Auflösung des Rittergutes 1937/38 von der Siedlungsgesellschaft "Freie Scholle" geschaffen und überwiegend vom "Rasse- und Siedlungsamt der SS" mit SS-Leuten besetzt wurden. Und auch die Nummern der entsprechenden Akten im Brandenburgischen Landesarchiv Potsdam konnten wir liefern.

Das reichte dem Herrn vom Landesverwaltungsamt auch erstmal aus, um die erwähnte Plausibilitätserklärung auszufertigen und der Dame auf dem beschwerlichen Amtsweg ein Stück weiter zu helfen.

Die Gelegenheit haben wir aber gleich genutzt und der Dame ausrichten lassen, daß wir sehr gern von ihr etwas über ihre Erlebnisse hier in Mehrow erfahren würden. Zwei Monate später kam dann auch wirklich die erste Post von ihr, in der sie kurz ihre Situation schilderte:

... ich möchte mich bei Ihnen sehr herzlich für Ihre Hilfe bedanken, was dazu beigetragen hat, dass die Bescheinigung bezüglich der Zwangsarbeit mir ausgestellt werden konnte. Ich habe bereits eine Information aus Warschau erhalten, dass ich meine Entschädigung bekomme. Ohne Ihre Hilfe wäre es nicht möglich und deswegen nochmals vielen Dank. Ich habe alle Hoffnung fast verloren, weil die polnischen Behörden es nicht weiter gebracht haben. Es wurde mir erklärt, ich hätte keine entsprechende Dokumentation im Besitz und mir fehlten zwei Zeugen, die meine Zwangsarbeit bestätigen wurden. Einer der Zeugen, den ich genannt hatte, war meine Freundin, mit der ich während der Kriegszeit in Briefwechsel stand und die meine Zwangsarbeit beim Bauer vom frühen Morgen bis zum späten Abend bestätigte. Dieser Zeuge war aber nicht glaubwürdig. Und der zweite Zeuge war meine andere Freundin, mit der ich beim Bauer zusammen gearbeitet habe, aber sie lebt nicht mehr. Ich bin 78-Jahre alt und diese Frau wäre heute 90.
...
Als ich 15 war, wurde ich ich zu Herrn B... K... gebracht, wo ich sehr schwer habe arbeiten müssen, so wie es damals auf einem Bauernhof üblich war. Ich habe 5 Jahre lang bei zwei Bauern gearbeitet.

Heute bin ich sehr froh, dass Sie mir geholfen haben, die mir zustehende Entschädigung zu erhalten. Wenn ich mich von meiner Freude erholt habe, werde ich gerne über meine Empfindungen in der Kriegszeit berichten. ...


Im Oktober 2003 kam dann die sehnlich erwartete Post mit den erbetenen Schilderungen der Erlebnisse hier in Mehrow, die sie uns nicht eher schicken konnte, weil sie zwischenzeitlich einen Unfall erlitten hatte. Sie schreibt uns unter anderem:

...
Jetzt möchte ich noch etwas über meine Erlebnisse aus der Kriegszeit schreiben.
Als die Deutschen polnische Bürger aussiedelten, kamen in das Dorf Inwald, wo ich damals wohnte, deutsche Soldaten. Es war im Januar 1940 am Morgen. Sie nahmen junge Mädchen, darunter auch mich aufs Auto und sie brachten uns ins Lager nach Lodz. Dort gab es viele Tränen. Eltern weinten nach ihren Töchtern. Ich selbst hatte damals keine Eltern mehr, sie starben, als ich drei Jahre alt war. Mit 13 musste ich bei einem Bauern arbeiten. Ich musste im Sommer Kühe bewachen, obwohl ich große Angst vor diesen Tieren hatte.

Nach Lodz kamen deutsche Bauern, um sich polnische Mädchen auszusuchen, die sie dann nach Deutschland zur Arbeit mitgenommen haben. Da kam auch Herr B... K... und hat sich die 20-jährige Josefa ausgesucht. Mich wollte er zunächst nicht mitnehmen, denn ich war damals 15, sah aber so aus, als ob ich erst 9 wäre. Ich weinte aber so sehr nach Josefa, so dass Herr K... mich wohl aus Mitleid mitnahm, damit wir beide [zusammen] sind. Ich muss sagen, dass er ein guter Mensch war, obwohl er der SS angehörte.

Noch im Lager in Lodz lebten wir drei Wochen lang unter schrecklichen Verhältnissen. Wir waren verhungert und verlaust. Erst Frau K... hat mich und Josefa entlaust und uns das Essen gegeben. Hätte Herr K... mich nicht mitgenommen, wäre ich nach Ausschwitz gebracht, wo ich höchstwahrscheinlich gestorben wäre.

Und so hat die Arbeit in Trappenfelde angefangen. Von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends. Im Haus, draußen im Feld, so wie es in einem Bauernhof damals üblich war. Zu anderen Mädchen aus Polen hatten wir keinen Kontakt, obwohl einige in Mehrow arbeiteten. Es waren Mädchen aus Warschau, die Nase hochtragend, die mit uns, den Mädchen aus dem Lande nichts zu tun haben wollten.

Außer uns war bei K... noch eine Volksdeutsche, Lena aus der Ukraine. Wir waren alle drei in einem Zimmer untergebracht. Es gab dort auch einen Deutschen, der Verwalter war und uns sagte, was wir machen sollten. Herr K... war vorwiegend im Dienst im Ausland. Seine Frau beschäftigte sich mit der Küche und wir halfen ihr dabei. Das Essen war gut. Außerdem kamen auch immer morgens um 6 Uhr drei französische Kriegsgefangene aus dem Lager in Mehrow und sie haben bei K... auch gearbeitet.

Nach zwei Jahren, als ich und Josefa bereits uns im Deutschen einigermaßen unterhalten konnten, ließ uns Frau K... ab und zu mal in die katholische Kirche im Aleksanderplatz fahren. Darüber haben wir uns riesig gefreut. Wir mussten auch manchmal am Sonntag arbeiten, als K... Gäste empfingen.

Nach 4 Jahren begann Josefa mit Genehmigung der Frau K... bei einem anderen Bauern in Marienfelde zu arbeiten. Sie hat mir dann Arbeit bei Herrn U... besorgt, wo ich bis zum Kriegsende blieb. Nach Kriegsende kehrten wir in unsere Heimat zurück. Josefa lebt seit längerem nicht mehr.
...

Der Brief erhielt auch noch die erfreuliche Nachricht, daß die Dame inzwischen den ersten Teil ihrer Zwangsarbeiter-"Entschädigung" erhalten hat, aber auch die traurige Nachricht, daß sie um den Rest bangen muß, da weitere Nachweise nicht beigebracht werden konnten. Der Internationale Suchdienst hat nichts über ihren Aufenthalt in Deutschland ermitteln können.

Wir haben uns deshalb auf die Suche nach der Familie K... gemacht, in der Hoffnung, dort eventuell auf Belege für die Beschäftigung der Dame hier in Trappenfelde zu treffen. Und erfreulicherweise haben wir sehr schnell die Telefonnummer eines Sohnes der Familie K... ausfindig gemacht und sind dort auf offene Ohren gestoßen. Er hat sich gleich bereit erklärt, nach Unterlagen zu suchen und ggf. mit der Dame Kontakt aufzunehmen. Das ist dann auch sehr schnell erfolgt. Den Brief an sie hat er uns freundlicherweise zur Kenntnis gegeben:

... Aus meiner Erinnerung (ich war damals ja erst 7-8 Jahre alt) weiß ich, dass auf dem Bauernhof meiner Eltern zwei polnische Mädchen, ein ukrainisches Mädchen und ein französischer Mann gearbeitet haben.
Wenn ich mich richtig erinnere waren die Rufnamen der Mädchen: Josefa / Wladka / Lina und die des Mannes: August (Augüst auf französisch)
Diese Erinnerung deckt sich in etwa mit Ihren Angaben, die Sie über den internationalen
Suchdienst gegeben haben, so dass ich vermute, dass Sie das aus meiner Kindheit bekannte Mädchen Wladka sind.
Ich hin gerne bereit Ihnen zu helfen, diese für ein junges Mädchen schlimme Zeit, durch eine eidestattliche Versicherung zu belegen, um Ihre Ansprüche gegen den Ausgleichsfond geltend zu machen. ...

Die Überraschung war bei Wladka (so wollen wir die Dame fortan einfach nennen) natürlich groß und die Freude über diese unerwartete Post wirklich echt - sicher nicht nur wegen der zugesagten Hilfe im Behördendschungel. Sie schreibt Herrn K... auch gleich zurück:

... ich möchte mich bei Ihnen sehr herzlich für Ihren netten Brief und Bilder bedanken. Ich habe mich darüber sehr gefreut. Die Erinnerungen von damaliger Zeit wurden wieder lebendig. 1942 war ich 17 Jahre alt. Sie können sich noch sehr gut an unsere Vornamen erinnern, Wladka - das bin ich, Josefa und Lena aus der Ukraine. ...

Und jetzt die nächste große Überraschung - ein Brief von Ihnen und ein Bild mit ihrem Bruder. ... Glauben Sie mir, ich erinnere mich mit Freude an Ihre Eltern. Sie waren wirklich gute Menschen. Ihr Vater hat sein gutes Herz gezeigt, als er uns aus dem Lager in Lodz mitgenommen hatte. Josefa war damals 22 Jahre alt und ich 15, aber ich sah so aus, als ob ich erst 9 wäre. Ich weinte so sehr nach Josefa. denn sie war die Tochter unserer Nachbarn und ich kannte sie gut. Ihr Vater hat mich also auch mitgenommen, wohl aus Mitleid, Und arbeiten musste man damals überall, egal wohin man kam. Wir, d.h. ich und Josefa hatten es gut bei ihrer Familie und wir waren beide zufrieden. Ich schätze Ihre Eltern sehr. Und der Krieg war für alle Menschen, auch für Sie und Ihre Familie was Schlimmes. ...


In der Folgezeit hat sich "Wladka" wiederholt mit lieben Grüßen bei uns gemeldet und vor wenigen Wochen kam mal wieder ein längerer Brief, in dem sie noch etwas von ihrer Zeit in Mehrow / Trappenfelde erzählt:

... Und jetzt vielleicht noch etwas zu Mehrow. Ich kann leider wenig dazu sagen, denn ich kenne Ihren Heimatort ganz wenig. Es stimmt, dass dort Polinnen waren, aber ich und Josefa hatten keinen Kontakt zu ihnen. Selbst an die Kirche, von der Sie so schön schreiben, kann ich mich kaum erinnern. Wir hatten einen Sonntag im Monat frei und dann fuhren wir in die Kirche nach Berlin zum Alexanderplatz.
Was die französischen Zwangsarbeiter betrifft, kenne ich keine Namen. Ich und Josefa arbeiteten bei der Familie K... von 1940 bis 1944. Im November mit Einstimmung von Frau K... haben wir den Arbeitsplatz geändert. Bis Kriegsende habe ich bei Herrn E... U... wohnhaft in Wilmersdorf gearbeitet und Josefa in Marienfelde.
Nach Kriegsende 1945 sind wir in unsere Heimat zurückgekehrt. 1946 heiratete ich in Stronielskie, ich war dort im Westen bei meiner Familie, danach sind wir 1950 nach Bydgoszcz gegangen und hier wohl werden wir unser Leben auch enden. Unsere Zeit geht langsam zu Ende und man muss sich einfach mit Gottes Willen aussöhnen. ...

Ihre Enkelin hat uns dazu noch ein paar wenige Bilder von früher und ein paar aktuelle Familienbilder geschickt. Nun wissen wir wenigstens, wie "Wladka", die 5 Jahre hier in Mehrow verbrachte und mit ihrer Geschichte einen würdigen Platz unter "Menschen in Mehrow" verdient hat, damals aussah und heute aussieht.
Es beruhigt uns, aus ihren Berichten zu erfahren, daß sie hier in Mehrow gut behandelt wurde und keine schlechten Erinnerungen an unseren Ort hat. Und es freut uns sehr, daß sie die Familie lobt, bei der sie damals gearbeitet hat.

Das ändert aber nichts daran, daß sie nicht freiwillig hier her zum Arbeiten gekommen ist - die Alternative wäre aus ihrer Sicht Auschwitz gewesen ...
"Wladka's" Arbeit hier in Deutschland war Zwangsarbeit, wofür es auch eine angemessene Entschädigung geben muß. Die Bundesregierung hat, wohl mehr aus Furcht vor drohenden Klagen als aus dem Streben nach Wiedergutmachung, bei der Wirtschaft Geld für Entschädigungszahlungen locker gemacht. Jetzt, wo nur noch ein kärglicher Rest der damaligen Zwangsarbeiter lebt. Und welche Hürden den Anspruchsberechtigten auferlegt werden, haben wir hier miterleben können. "Wladka" hat erfreulicherweise entgegen allen Erwartungen auch den zweiten Teil der "Entschädigung" enthalten. Zusammen genommen waren das ca. 1000 Euro (hier fehlt keine Null !) für 5 Jahre Zwangsarbeit fern der Heimat im besten Jugendalter. Eine Schande! Und welcher Großmut bei der Dame, daß sie trotzdem keinen Groll hegt und sich immer wieder ganz überschwänglich für die Hilfe bedankt, die wir ihr beim Erstreiten dieser "Summe" gewähren konnten.