Ende der 50er / Anfang der 60er Jahre war die Werbung von Jugendlichen für die "Bewaffneten Organe" (Armee, Polizei etc.) ein stetes Thema bei den Ratssitzungen, da sich im Ort partout nicht so viele Jugendliche dafür fanden, wie von den übergeordneten Behörden gefordert. Denn natürlich war auch in dieser Frage der Grad der Freiwilligkeit vorher geplant und der Druck zur Planerfüllung permanent.



Am 8.7.1957 richtete sich der Vorsitzende des Rates des Kreises Bernau (Festner) unter diesem Betreff wie folgt an den Bürgermeister der Gemeinde Mehrow:

Auf Grund der am 08.07.1957 durchgeführten Beratung zur Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft unserer Republik stellt Ihnen der Rat des Kreises Bernau die Aufgabe, junge Bürger für den Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee und den Polizei-Einheiten zu gewinnen und zu delegieren.

Die nachstehend genannten Mindestzahlen sind in den gegebenen Zeitabschnitten unbedingt zu erfüllen

1. Etappe: bis 15. August 1957.
   a) Für die Nationale Volksarmee:     1 Jugendliche
   b) Für die Polizei-Einheiten:        0 Bürger

2. Etappe: bis 07. Oktober 1957, dem 8. Jahrestag der DDR
   a) Für die Nationale Volksarmee:     0 Jugendliche
   b) Für die Polizei-Einheiten:        1 Bürger

3. Etappe: bis 07. November 1957, dem 40. Jahrestag der Großen
Sozialistischen Oktoberrevolution.
   a) Für die Nationale Volksarmee:     0 Jugendliche
   b) Für die Polizei-Einheiten:        0 Bürger

Insgesamt 1. bis 3. Etappe: Nationale Volksarmee: 1 Jugendliche
                            Polizei-Einheiten:    1 Bürger

Offenbar hat sich aber niemand gefunden und die Planzahlen wurden einfach ins nächste Jahr (1958) übernommen. Da der Andrang aber wieder nicht sehr groß war, hat der Rat des Kreises am 18.3.1958 in einem Serienbrief an die Bürgermeister wie folgt nachgehakt:

Der Rat befaßte sich in seiner letzten Sitzung mit der Auswertung der Werbung Jugendlicher zur Stärkung unserer Nationalen Volksarmee.

Da Ihre Gemeinde in den nächsten Wochen und Monaten ein Werbesoll von 2 Jugendlichen zu erfüllen hat, lenke ich Ihre Aufmerksamkeit besonders auf die Frage der Werbung. Die Gemeindevertretung hat die Pflicht, sich ständig mit dieser Aufgabe zu befassen, im besonderen durch persönliche Gespräche mit allen Jugendlichen mit dem Ziel, der Bereitschaft der Jugend, Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee zu leisten. ...


Bis zum 8. eines jeden Monats erwarte ich einen Bericht über die Werbearbeit.

Der Bürgermeister (Brunn) antwortete am 28.3.1958 pflichtbewußt wie folgt:

Innerhalb der Gemeinde Mehrow wird seit dem 1. September 1957 auf Grund von Patenschaften mit jedem Jugendlichen ständig diskutiert.

In der Sitzung der Volksvertreter v. 20.2.58 wurden nochmals durch Beschluß diese Patenschaften erhärtet und alle Kollegen Volksvertreter darum gebeten, jeden Monat zum 15. einen kurzen Bericht dem Kollegen Bürgermeister zu geben.


Nachkontrollen haben ergeben, dass die benannten Volksvertreter tatsächlich ständig mit den Jugendlichen in Verbindung stehen, aber bisher kein Erfolg zu verzeichnen ist. Unter den 10 Jugendlichen, die für die Werbung anstehen, sind 6 Söhne von werk. Bauern, wo die Väter auf Grund des Alters oder ihres gesundheitlichen Zustandes nicht in der Lage sind, die Wirtschaft zu führen. Zwei Jugendliche stehen zur Zeit noch in der Lehre und haben sich bereit erklärt, nach Abschluß ihres Lehrverhältnisses, den Ehrendienst anzutreten.



Dieses Zitat entstammt einem Schreiben des Kreisvorsitzenden vom 1.9.1959 an den "Wehrten Kollegen Bürgermeister" der Gemeinde Mehrow:
Eine wahrhaft hartnäckige Bande, die Mehrower Jugendlichen ...

Wieder ein Jahr später (1959) hat sich immer noch nichts getan.
Da bleibt folgerichtig das verheerende Urteil der Statistiker im Rat des Kreises nicht aus:


Werter Kollege Bürgermeister !

Ich mußte feststellen, daß in Ihrer Gemeinde das Werbesoll für die bewaffneten Kräfte mangelhaft erfüllt wurde.
Das Ihnen am 26. März mitgeteilte Soll für die NVA [Nationale Volksarmee] und die bewaffneten Organe des MdI [Ministerium des Innern] wurden insgesamt nur

                      mit 0 % erfüllt.

In vielen Gemeinden wird nur formell gearbeitet. Die Mitglieder der Ortswerbekommissionen sprechen mit den Jugendlichen nur ein- oder zweimal im Jahr. Das genügt nicht. ...
Ich erwarte, daß Sie sofort die erforderlichen Maßnahmen ergreifen,
um das Jahressoll bis zum 7. Oktober zu erfüllen. Die letzte Kommissionierung in diesem Jahr für die NVA findet am 15. September statt, die letzte Zuführung für die Polizei Ende Oktober.

Ich behalte mir vor, Sie während oder nach der Kreistagssitzung am
17. September persönlich zur Berichterstattung aufzufordern.

                                       Mit sozialistischem Gruß
                                              (Festner)

Aber zwischenzeitlich war man in Mehrow (zumindest bzgl. der Werbung für die Armee) unbemerkt "von null auf hundert" und der Bürgermeister (Brunn) konnte am 9.9.1959 triumphierend antworten:

Werter Kollege Vorsitzender !

Zum Schreiben v. 1.9.59 muß ein Irrtum vorliegen, denn zur Werbung für die NVA hat die Gemeinde ihr Soll 100%ig erfüllt.
Der Jugendfreund ... ist zu den Seestreitkräften eingerückt.