Kirchenvisitation am 30.Juni 1857 durch Superintendent Kümmel, gefunden im Geheimen Staatsarchiv unter GStA HA X Pr.Br. Rep 40 (Kurmärkisches Konsistorium) Nr. 1267, Blatt 363 bis 372:

An Ein Königliches Hochwürdiges Consistorium
der Provinz Brandenburg
zu Berlin

Superintendanz Berlin Land
Schönerlinde bei Berlin, d. 6 August 1857
Der Superintendent Kümmel berichtet über die
Kirchenvisitation in der Parochie Ahrensfelde
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Einem Königlichen Hochwürdigen Consistori überreiche ich in der Anlage gehorsamst die über die Kirchenvisitation in der Parochie Ahrensfelde aufgenommene Verhandlung vom 30. Juni [1857] nebst der Visitationspredigt und beehre mich, dazu folgendes zu bemerken:

Das kirchliche und sittliche Leben der beiden bäuerlichen Gemeinden Ahrensfelde und Hönow ist leidlich. Die Kirche wird, zumal in Ahrensfelde nicht ganz schlecht besucht, ein Krugleben findet nicht statt, uneheliche Geburten sind nicht häufig. Andererseits sind aber auch Tischgebete, Hausandachten und ähnliche Zeichen tieferer Religiösität keineswegs allgemein. Die herrschaftliche Gemeinde Mehrow ist dagegen, wenn von einigen Bauern und Büdnerfamilien abgesehen wird, ganz unkirchlich. Von den herrschaftlichen Tagelöhnern kommen nur einzelne außer an großen Festen überhaupt noch zur Kirche, nun ihnen auch die Gutsherrschaft nicht mehr mit gutem Kirchbesuch vorweggeht, wie die vorige getan hatte. Natürlich kann bei diesem Verhalten der
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Taglöhner zur Kirche und bei ihrer sonstigen Unzugänglichkeit auch das religiöse und sittliche Leben keine Fortschritte machen. Die Sonntagsarbeit insbesonder nimmt in keiner Weise ab. Übrigens sind es auch in den anderen Dörfern, namentlich in Hönow, die Arbeitsleute, die am seltensten zur Kirche kommen.

Der Ortspfarrer, Herr Prediger Friedrich Adolf Harmuth 1816 geboren, seit 1851 im Pfarramt, erst seit diesem Frühjahr nach dem Tode des emeritierten Predigers Busch in vollen Genusse des Pfarreinkommens, ist einer der würdigsten und tüchtigsten Geistlichen in den ganzen Dörfern, ein Mann von eben so tüchtiger wissenschaftlicher Bildung wie in theologischer, so in philologischer und philosophischer Beziehung, als durchaus bibelgläubiger Richtung, mit Liebe der lutherischen Confession zugethan, ohne jedoch Mitglied eines lutherischen Vereins zu sein und den Dissensus zwischen der lutherischen und reformierten Kirche als das Panier der Rechtgläubigkeit hochzuhalten, sondern am Consensus mit der Bruderkirche aus Herzensgrunde festhaltend, sich zugleich, und durch seinen ernsten, stillen, demüthigen und milden Sinn, wie durch einen völlig unbescholtenen und würdigen Wandel, von wissenschaftlichem Streben, vorzüglich mit exegethischen Studien sich beschäftigend, und von großer Amtstreue, wie dies auch die anliegende Verhandlung hat aussprechen können,

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auch mit der Leitung einer der mit in der Diöcese bestehenden Kreis-Schul-Conferenzen beauftragt, welcher er mit großem Geschick und vieler Liebe sich unterzieht, in Geschäftssachen sehr pünktlich, so daß er noch nie an die Erledigung irgend einer Verfügung hat erinnert werden müssen, und vermöge seiner Tüchtigkeit, die ungeachtet seines unscheinbaren Wesens leicht erkannt wird, zur Verwaltung einer Superintendentur wohl qualifizirt, bei seiner großen Demuth aber schwerlich genügt, eine solche zu übernehmen. Die anliegende Visitationspredigt gibt Zeugnis von seiner großen Tüchtigkeit. Sie ist wohl durchdacht, mit großem Fleiße gearbeitet und gut disponirt, zeigt eine durchaus logische Gedankenfolge, dringt tief in den Text ein, zeichnet sich durch eine edle und völlig correcte [?] Sprache aus und ist gedankenreich ohne allen hohlen Pathos, alle schimmernde Redekunst [?] in großer Demuth entscheidend, emandata, dilucida, opta und ornata, doch erscheint mir die Auffassung des Einen Schafes und des Einen Groschens, so daß mit diesem Einen das ganze Menschengeschlecht bezeichnet sein soll im Gegensatz gegen die übrigen zahlreichen nicht gefallenen Himmelsbewohner, obgleich sie durch ihre Tiefe sich auszeichnet, dem ganzen Inhalt der Heiligen Schrift wohl entspricht und den ernsten Exegeten verräth, der auch nicht Ein Wort der Schrift ohne tiefe Bedeutung und ohne genauen Zusammenhang mit dem übrigen
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Inhalt der Schrift auffassen möchte, zu künstlich und nicht recht zulässig Theils wegen Matth. 18, 12 - 14, wo doch die 100 Schafe jedenfalls das Menschengeschlecht bezeichnen, und das eine verlorene und gerettete die durch demüthigen Glauben geretteten Menschen, theils wegen des inneren Zusammenhanges der drei Gleichnisse des Textkapitels, die überschwengliche Barmherzigkeit Gottes gegen die Sünder dargestellt wird und eine Steigerung von den 100 Schafen durch die 10 Groschen zu dem einen von zwei Söhnen fortgeht, wofür es hier einer weiteren Auseinandersetzung nicht bedarf, so daß unter den 100 Schafen, 10 Groschen und 2 Söhnen wohl nur das Menschengeschlecht in seiner Gesamtheit verstanden werden kann und nicht eines Theils, und zwar zum größten Theil, das Himmelsherr, andern Theils aber die gefallene Menschheit. Mir ist nicht bekannt, welcher Exeget die von dem Prediger Harmuth adaptirte Erklärung aufgestellt haben mag; vielleicht daß der selige Heubner, unter dessen Leitung Prediger Harmuth ein Zögling des Prediger-Seminars zu Wittenberg gewesen ist, diese Erklärung mit angeführt oder auch empfohlen hat.

Die Katechisation des Ortspfarrers zeigt den eben so gewandten, als von der Sache selbst im Innersten ergriffenen Katecheten und war ein Wort zur rechten Zeit am rechten Ort.

Kümmel 1815

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Verhandelt Ahrensfelde, Mehrow
und Hönow, den 30ten Juni 1857.

Vom 27ten May bis zum heutigen Tage ist in der Parochie Ahrensfelde Kirchen- und Schul Visitation gehalten worden. Die Parochie besteht aus der Mater Ahrensfelde, Königlichen Patronats, und den Filialen Mehrow, unter Patronat des Rittergutsbesitzers Heise, und Hönow, Königlichen Patronats, und zählt 950 Seelen.
Der Pfarrer hat sonntäglich in je 2 Kirchen, festtäglich aber in allen 3 Kirchen zu predigen, und hat in diesem Jahre nach den neuesten höheren Bestimmungen vom Sonntage Invocavit an in jeder Kirche wöchentlich eine Fastenwochenpredigt gehalten, sogar einmal , wenn dies in Filial Mehrow , vor einer einzigen Frau, so daß es fraglich ist, ob diese vermehrten Fastenpredigten in Zukunft die hinreichende Theilnahme finden werden. Es ist herkömmlich gewesen, daß vom Sonntage Oculi ab wöchentlich in 2 Kirchen gepredigt und in einer Kirche gelesen worden ist; in diesem Jahre nun hat der Ortspfarrer 3 mal in allen 3 Kirchen, und 2 mal in je 2 Kirchen Fastenwochenpredigten gehalten. Aber Leidensgeschichte ist in jeder Kirche an einem Abend der Charwoche bei einer abgehaltenen liturgischen Andacht vorgelesen worden.
Auch in der Weihnachtswoche ist in jeder Kirche eine liturgische Abendandacht unter zahlreicher Theilnahme von Seiten der Gemeinden gehalten worden. Den Confirmandenunterricht ertheilt der unterzeichnete Pfarrer im Winter wöchentlich in 4, im Sommer ebenfalls in 4 Stunden in Ahrensfelde, dagegen in Hönow, wohin der Pfarrer wöchentlich in der Zeit zwischen

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Weihnachten und Invocavit sich begeben muß, während von Invocavit bis Palmarum die Confirmanden aus Hönow nach Ahrensfelde sich begeben müssen, wohin er aber auch in der Zeit zwischen Ostern und Weihnachten, ohne dazu nach der Überzeugung des Superintendenten verpflichtet zu sein, sich begibt, das ganze Jahr sind auch wöchentlich 1mal in je 2 Stunden. Kirchliche Katechisationen sind in der Zeit von Pfingsten bis Michaelis in den Kirchen von Ahrensfelde und Hönow, wenn auch zu Zeiten unter geringer Theilnahme derselben, mit den Confirmirten, in der Kirche zu Mehrow aber, wegen der zu geringen Zahl an Confirmirten, mit der älteren Schuljugend gehalten worden. Das h. Abendmahl wird in jeder Kirche jährlich 8 mal gehalten, muß jedoch zu Mehrow einige Male wegen Mangel an Theilnahme ausfallen, und die Zahl an Communicanten hat in Ahrensfelde zugenommen, ist sich aber in Mehrow und Hönow ziemlich gleich geblieben. Als Predigtbücher zum Vorlesen bei den Lesegottesdiensten dienen in Ahrensfelde die Predigten des evg. deutschen Vereins, in Mehrow desgleichen und in Hönow das von Ludwig Hofacker. Das Preußische Gesangbuch befindet sich im kirchlichen, Schul- und häuslichem Gebrauch. Die Pfarrregistratur und die Kirchenbücher sind revidiert worden, jene ist geordnet, diese wurden vorschriftsmäßig geführt.
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Als Pfarrer fungiert hierselbst seit Januar 1851 Herr Prediger Friedrich Adolph Harmuth, geboren 1816, 6 ½ Jahre im Amt. Derselbe bereitet sich, wie das die heilige Pflicht jedes evangelischen Geistlichen ist, auf alle seine amtlichen Vorträge gewissenhaft vor, arbeitet sie schriftlich aus und hält sie durchaus frei vom Concept, predigt abwechselnd über die evangelischen in dem einen, über die epistolischen Pericopen [?] in dem anderen Jahre, besucht die Kranken und Sterbenden und nach Verhältniß und Gelegenheit auch die Gesunden, widmet dem Confirmandenunterricht einen vorzüglichen Fleiß und die gewissenhafteste Sorgfalt und erteilt denselben nach dem lutherischen Katechismus im Sinne unserer kirchlichen Bekenntnisschriften, besucht seine Parochialschulen und nimmt sich deren Lehrern auch durch die Abhaltung der vorgeschriebenen Parochialberatungen treulich an. Außerdem leitet derselbe zur Zeit die 4 in der Diöcese bestehenden Kreis-Schullehrer-Conferenzen. Er steht mit seiner Gemeinde in einem friedlichen Verhältnisse. Derselbe hält die Termine zur Besprechung mit den Vormündern in der von dem Königlichen Consistorio empfohlenen Weise ab und rühmt das Verhalten der Vormünder in derselben. Er gebraucht die Agende vorschriftsmäßig und als Spendeformel beim h. Abendmahl die vom Königlichen Consistorio demselben erstattete; nehmet hin und esset: das
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ist der Leib unseres Herrn und Heilands Jesu Christi, für unsere Sünde in den Tod gegeben (... trinket , das ist das Blut.... für uns vergossen zur Vergebung der Sünden); daß stärke und erhalte euch etc. Es sind von demselben auch Bibel- und Missionsstunden gehalten worden, freilich zuweilen unter sehr geringer Theilnahme; derselbe wird in Zukunft die Mittheilung von Missionsnachrichten in die Kirchen verlegen.
Die Visitationsgottesdienste wurden ganz der Vorschrift gemäß gehalten. Der erste Gottesdienst war auf dem Filial Hönow und begann früh ½ 8 Uhr. Nach dem Einleitungsgesang: O heilige Dreifaltigkeit Nr. 629 wurde die Liturgie gehalten, und dabei die Chöre und eingelegten Liederverse von der ganzen Gemeinde gesungen. Als Hauptlied wurde gesungen: ihr armen Sünder kommt zu Hauf Nr. 379, und darauf die Predigt über das Evangelium des Tages von dem Ortspfarrer in angemessener Lebendigkeit gehalten. Nach derselben prüfte der unterzeichnete Superintendent die eingesegneten jungen Leute und empfing von denselben im Ganzen recht befriedigende Antworten, und schloß hierauf mit einer Ansprache an die Gemeinde. Die Zahl der Theilnehmer überschritt nicht die Durchschnittszahl der gewöhnlichen Sonntage, dieselbe aber zeigte eine würdige Haltung und andächtige Theilnahme. In Mehrow begann der Visitationsgottesdienst Vormittags nach 10 Uhr. Hier wurde das Lied Nr. 379 gesungen, die Liturgie von dem Prediger unter Theilnahme der ganzen Gemeinde und vom Orgelspiel begleitet gehalten. Der Gesang wurde
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überhaupt durch ein angemessenes Orgelspiel unterstützt, und die Predigt über das Evangelium des Tages von dem hiesigen Küster und Schullehrer Schröder auf eine würdige Weise gelesen. Der Ortspfarrer hielt nach derselben mit der reiferen Schuljugend eine katechetische Unterredung in recht erwecklicher und erbaulicher Weise, und auch hier schloß der Superintendent mit einer Ansprache an die Gemeinde. Die Gemeinde war recht zahlreich versammelt und zeigte ebenfalls eine lebendige Theilnahme und würdige Haltung.
In der Mater Ahrensfelde wurde der Visitationsgottesdienst Nachmittags von ½ 3 Uhr ab gehalten. Als Einleitung wurde das Lied: Ach bleib mit Deiner Gnade, als Hauptlied Nr. 379, unterstützt durch ein liebliches und würdiges Orgelspiel, gesungen. Nur Schade, daß die schöne von dem Orgelbauer Buchholz zu Berlin 1819 erbaute Orgel gar sehr verstimmt ist und in einigen Kleinigkeiten einer Reparatur bedarf. Auch hier wurde die Liturgie von dem Ortspfarrer vorschriftsmäßig gehalten unter Begleitung der Chöre von der Schuljugend und der Orgel. Ebenso hielt auch hier der Ortspfarrer die Predigt über das Evangelium des Tages auf eine lebendige und würdige Weise, und der Superintendent prüfte auch hier die eingesegneten jungen Leute, von denen er im Ganzen befriedigende Antworten empfing und schloß mit einer Ansprache an die Gemeinde. Dieselbe bewies auch hier eine lebendige Theilnahme und würdige Haltung;
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war aber leider nicht sehr zahlreich versammelt; vielleicht, daß die am Vormittag gehaltenen Lesegottesdienste eine zahlreichere Theilnahme beeinträchtigt hat.
Etwas Besonderes war nicht weiter zu verhandeln, daher wurde die Verhandlung geschlossen.

V.g.u.
Harmuth, Pfarrer
Schmidt, Schulze und Schul- Kirchenvorsteher
Fahrentholz, Schulvorsteher
Schröder, Küster und Lehrer
Müller, Schulze und Kirchenvorstand
Zernikow, Kirchen- und Schulvorsteher
Meißner
Schröder, Küster und Lehrer
Martin Wegener Kirchenvorsteher
Gottfried Wegener Kirchenvorsteher und Schulvorsteher
Haase Schulvorsteher
Domack, Küster und Lehrer

v.w.o

Kümmel