Beim Blättern in der "Heimatzeitung des Kreises Bernau" (einer Beilage des "Neuen Tag") sind wir in der Ausgabe vom 2. Juli 1954 auf folgenden Artikel gestoßen:

   Mehrow/Trappenfelde.  Wegen schwerer Mißhandlung ihrer Hilfskraft wurde die 41 jährige Einzelbäuerin Anna G., wohnhaft in Mehrow/Trappenfelde, zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt.

   Am 22. März 1954 waren die Angeklagte und die bei ihr beschäftigte Else F. mit Dungaufladen beschäftigt. Die Angeklagte entfernte sich eine Zeitlang von der Arbeitsstelle und stellte nach ihrer Rückkehr fest, daß auch die F. den Arbeitsplatz verlassen hatte. Darüber geriet die Angeklagte in eine derartige Wut, daß sie der F. zweimal mit der Dunggabel in das Gesäß stach, und ihr mehrmals mit dem Forkenstiel über den Rücken schlug, wobei ein Schlag den Kopf verletzte.

   Die Handlung der Angeklagten in ihrer Rohheit und Brutalität stellt einen Ausnahmefall dar. Die Angeklagte wußte, daß der F. infolge ihrer Schwachsinnigkeit der § 51 StGB zur Seite stand. Diese Tatsache hat die Angeklagte außer acht gelassen.

   Die Tat der Angeklagten erinnert an die Methoden, wie sie von Krautjunkern in der Vergangenheit angewandt wurden, Ausbeutung und Züchtigung. Mit diesem Zustand hat die Deutsche Demokratische Republik endgültig Schluß gemacht. Das Leben und die Gesundheit der Werktätigen in unserer neuen Gesellschaftsordnung wird durch Gesetze und Verordnungen besonders geschützt.

   Mit der Gefängnisstrafe soll der Angeklagten das Verbrecherische ihrer Handlungsweise vor Augen geführt werden. Die Strafe soll gleichzeitig Mahnung für diejenigen sein, die heute noch glauben, sich gegen die Interessen unserer Arbeiter- und Bauernmacht stellen zu können.
                                                         Henning

Der Verurteilungsgrund klingt schon ziemlich schlimm, aber das Gelabere von Krautjunkern und der Verweis auf die Arbeiter- und Bauernmacht heben den Artikel auf das Niveau der Berichterstattung über schwarz geschlachtetes Vieh oder Ausreisen nach Westberlin ...

Was hier stattgefunden hat, war aber wirklich übel, wie man folgendem Bericht des zuständigen Mitarbeiters beim Rat des Kreises entnehmen kann:

Bericht anläßlich einer durchgeführten Überprüfung am 6.4.1954
                in der Gemeinde Mehrow
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In dieser Gemeinde wohnt eine Neubauerin G. (41 Jahre alt), welche eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 11,35 ha bearbeitet. Es wurde festgestellt, dass bei der Sollerfüllung oftmals Differenzen zu verzeichnen waren. Bei einer durchgeführten Viehzählung gab sie 8 Hühner als vorhanden an. Später wurde jedoch herausgestellt, dass 20 Hühner und 2 Hähne auf ihrem Hof als ihr Eigentum vorhanden sind.
Fr. G. hat 4 Kinder, von denen 2 bereits verheiratet sind und einen eigenen Hausstand haben. 2 Kinder wohnen noch bei ihr. Sie lebt von ihrem Mann getrennt. Im Ort ist sie als agressive Person bekannt, alle Einwohner gehen ihr möglichst weit aus dem Wege. Frau G. mißhandelt oft ihre eigenen Kinder.

Am 12.5.1952 wurde ihr aus dem Städtischen Krankenhaus Wuhlgarten Berlin Biesdorf zur Unterstützung ihrer Arbeit eine 38 jährige Frau, die nicht voll im Besitz ihrer geistigen Kräfte ist, zugewiesen. Für diese Frau bekam sie als Unterstützung vom Krankenhaus DM 20.-- und außerdem für die Kranke persönlich 12,-- DM Taschengeld. Nach Aussagen soll die Kranke jedoch niemals das Taschengeld erhalten haben.

Die Kranke, Elsa F., wurde von Frau G. weil sie angeblich nicht schnell genug gearbeitet hat, mit der Mistgabel in den Oberschenkel gestochen. Der Kopf war ebenfalls derart zugerichtet, dass das Gesicht grün und blau angelaufen war.

Weiterhin war das Ohrläppchen eingerissen. der ganze Körper der Elsa F. war mit Striemen bedeckt.
Frau F. wurde vom Amtsarzt untersucht. Ein Bericht liegt bei den Akten des Amtsgerichts in Bernau.
...
Der Staatsanwalt hat die Kranke selbst gesehen und daraufhin die Frau G. sofort verhaftet.

Hierauf folgte die Bestandsaufnahme von seiten des Bürgermeisters, an der der Kollege Baumgart, Kollege Villbrand von der VP aus Ahrensfelde und der Bürgermeister Kollege Buhr beteiligt waren.
Die Räumlichkeiten der Frau G. wurden versiegelt.

Nach Vorsprache der beiden ältesten Töchter beim Kreisgericht in Bernau und der Abteilung Landwirtschaft beim Rat des Kreises, wurden die Siegel wieder entfernt, da die eine Tochter die Wirtschaft zur Weiterführung übernahm.

Alles weitere muss erst die Verhandlung ergeben.
Am heutigen Tage ist eine Einwohnerversammlung einberufen worden, auf der der Kollege Bast, Kreisstaatsanwalt sprechen wird.

                                                    [Falbe]
Gefunden im Kreisarchiv Barnim in der Akte EA 763 (Protokolle Ratssitzungen Mehrow, 1950-66)

Die Vorgänge um Frau G. waren auch das Thema einer eigens dafür einberufenen Einwohnerversammlung, zu der mit 90-100 Personen wohl mehr Einwohner erschienen sind, als je zuvor und danach.
Es sieht so aus, als hätte jeder etwas über das unmögliche Verhalten und die Schandtaten der Frau G. zu berichten gewußt:

                         Protokoll
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über die Einwohnerversammlung in der Gemeinde Mehrow am 6.4.54

Anwesend: ca. 90 - 100 Personen
          in Anwesenheit des Staatsanwaltes Koll. Bast
                         vom Kreisgericht Bernau
          und des        Koll. Falbe von der Org.Instr.Abtlg.
                         Rat des Kreises Bernau

Der Vors. der örtlichen VdgB Koll. Wunschock begrüsste die Gäste aus Bernau und auch gleichfalls die zahlreich erschienenen Einwohner der Gemeinde Mehrow Trappenfelde und gab die Tagesordnung bekannt:

       1. Erläuterungen zur demokratischen Gesetzlichkeit
          in Verbindung mit dem Fall G.
       ...

Darauf übernahm Staatsanwalt Koll. Bast das Wort.

Nach eingehenden Ausführungen ergab sich eine rege Diskussion zur Sache G.

Koll. Prötzsch führte an: Es kommt mir vor, als wenn die Staatsanwaltschaft sich über die Verhaftung der Frau G. Gewissensbisse macht. Es ist doch Tatsache, dass ein Mensch in der ärgsten Weise misshandelt worden ist und demzufolge eine Bestrafung am Platze ist.

Koll. Bast: Ich persönlich habe keine Gewissensbisse, denn die erfolgten Massnahmen entsprachen meiner Überzeugung. Es ist mir nur wertvoll, die Meinung der Bevölkerung zu hören.

Koll. Buttgereit, Vors. d. Gemeindevertretung:
Wir alle in unserer Gemeinde haben mit einem gewissen Schaudern von den Vorkommnissen auf dem Betrieb G. Kenntnis erhalten. Wir müssen uns vor Augen halten, dass es sich hier um einen hilflosen Menschen handelt, der dieser Bestie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Wir Bauern gehen ja täglich mit unserem Vieh um, behandeln es aber nicht so roh, wie die Frau es mit diesem, ihr anvertrauten Pflegling getan hat. Schlafen - in einer ungeheizten Dachkammer bei dem strengen Winter - Essen im Kuhstall. - Zur Arbeit mit allen handgreiflichen Mitteln angetrieben.
Hier kann keine Nachsicht geübt werden,
der Fall ist ekelerregend.

Koll. Micheel: Ich begrüsse die Festnahme. Ein Stück meines Landes grenzte an das der Frau G. Trotz Ermahnungen meinerseits schädigte sie mich, wo sie nur konnte. Ohne Rücksicht auf bestelltes Land wendete sie ihr Gespann in meinem Hafer. Darauf meinte sie, das wäre kein Schaden. Schicken Sie eine Kommission, ich bezahle.
Nachdem der Hafer gemäht war, mußte ich feststellen, dass Garben von meinem Felde entwendet wurden und eine Wagenspur von meinem Feld auf das Gehöft der Frau G. führte. Die Beweise lagen klar auf der Hand. Am 15.8.53 erstattete ich Anzeige. Die Polizei konnte den Täter nicht ermitteln, somit wurde das Verfahren eingestellt.

Frl. Bohlmann: Unser Acker grenzt ebenfalls an den der Frau G. Auch hier waren Diebstahl und Grenzüberschreitungen an der Tagesordnung. Ohne Rücksicht auf bestelltes Land hat sie sich Wege abgekürzt. Es ist auch zu Schlägereien gekommen.

Herr Wendtlandt: Man führt immer nur Klage gegen Frau G., vergisst aber dabei, dass man dem Pflegling jegliche Fürsorge von anstaltswegen versagt hat. Ich stehe auf dem Standpunkt, das sich die Anstalt an dem Geschick dieses Menschenkindes mitschuldig gemacht hat.

Frau Ender: Ich habe das Mädel bei mir für eine Nacht aufgenommen. Sie erst einmal gewaschen und für saubere Sachen gesorgt. Der Allgemeinzustand dieses Mädels spottet jeder Beschreibung.
Als der Pfleger die Bedauernswerte abholte, meinte er: "Else was machst du uns für ein Theater."
Die Handlungsweise der Frau G. erinnert mich an die der Ilse Koch im KZ.

Koll. Buhr, Bürgermeister:
Ich ging mit dem Pfleger von Frau Ender zurück zum Gemeindebüro. Hierselbst meinte ich, dass mir seine Art dem Mädel gegenüber nicht gefiel. Worauf er mir antwortete: "Er ließe sich in dieser Hinsicht keine Vorschriften machen. Ich bin VVN und weiss, wie ich mich zu benehmen habe."

Frau Ender:
Es sieht so aus, dass jeder Angst vor Frau G. hat und meint, wenn sie aus der Haft kommt, schlägt sie uns alle tot.

Koll. Buhr: Der Pflegling äusserte sich dahingehend, dass er 1 1/2 Tag ohne Essen sei. Frau Ender und ich beköstigten ihn. Elsa aß mit sichtlichem Heisshunger und meinte: Essen sie mal ein ganzes Jahr lang nur Pellkartoffeln mit Magermilch.

Frau Pohl gab ebenfalls einen anschaulichen Bericht über eine Auseinandersetzung der Kinder wegen mit Frau G., die bis zur Schlägerei ausartete.

Frau Maschke: Beim Dreschen bemerkte Frau G.: Es wäre richtig, die Elsa zu vergasen, wie es bei Hitler üblich war. Elsa musste beim Dreschen einlegen, doch es ging der Frau G. nicht schnell genug. Zur Strafe dafür wurde ihr das Mittagsbrot entzogen.

Koll. Buhr monierte, dass sich der Rat des Kreises nicht erst mit der Gemeinde in Verbindung setzte, bevor er die Weiterführung der Wirtschaft in die Hände der beiden Töchter legte. Man kann wohl verstehen, dass die Kinder das Hab und Gut der Mutter erhalten wollen, aber die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Hofes muß dabei gewährleistet sein.

Koll. Falbe: Die Sache muss untersucht werden, ob die Kinder in der Lage sind, die Wirtschaft entsprechend weiterzuführen.

Koll. Wunschock: Wir hoffen, dass der Koll. Staatsanwalt die Anordnung des Rates des Kreises in entsprechender Weise kritisiert. Der Kreis musste sich erst mit der Gemeinde und der örtlichen VdgB in Verbindung setzen. Die VdgB des Ortes lehnt jede Verantwortung ab.

Koll. Klopsteg: Ich kann nur bestätigen, dass Frau G. überall einen ausserordentlichen Respekt genoss. Z.B. die Angestellten der BHG in Ahrensfelde riefen, sowie sie die Nähe von Frau G. witterten: "Lass ja noch was übrig, die G. kommt." Es handelte sich hier um Pflanzkartoffelsaatgut.

Koll. Bast: Ich habe den Eindruck, dass mit der Inhaftierung der Frau G. ein Alpdruck von der Gemeinde Mehrow-Trappenfelde genommen wurde.

Mit dankenden Worten an den Koll. Bast wurde der 1. Teil der Einwohnerversammlung geschlossen.
Gefunden im Kreisarchiv Barnim in der Akte EA 763 (Protokolle Ratssitzungen Mehrow, 1950-66)