So wie Weimar seinen Schiller und Goethe hat und unsere Nachbarorte stolz auf ihrem "Schmidt von Werneuchen" oder "Canitz zu Blumberg" sind, so können wir mit geschwollener Brust zu unserem "Brunn von Mehrow" aufblicken.

Herr Thiele hat eine Köstlichkeit ausgegraben, die unser Bürgermeister Brunn seinerzeit verfaßt hat: "Das Vergessene Dorf", eine Zuschrift an die Bernauer Redaktion der Zeitung "Neuer Tag".

Tragisch ist an der Sache nur, daß der geschilderte Sachverhalt vierzig Jahre danach immer noch bzw. wieder Realität ist. Die zwischenzeitlichen Besserungen haben die Wende nicht lange überlebt.

Bürgermeister Fritz Brunn
An die Redaktion Neuer Tag, Bernau
Mehrow, den 10.6.1960

"Das vergessene Dorf!"

Am Rande von Berlin, zwischen zwei Omnibuslinien, bis Hönow und bis Ahrensfelde, liegt still und vergessen das kleine Dorf M e h r o w.
Seit Jahren laufen Männlein und Weiblein, Kinder jeden Alters bis zu den Omnibusanschlüssen, bzw. zur Schule 3 - 7 km bei Wind und Wetter. Unser Menschenschlag ist deshalb besonders gegen Anfälligkeiten oder Krankheiten gefeit und abgehärtet.

Wenn sich die Verantwortlichen zeitweise in die Gedankengänge der Bevölkerung einschalten könnten, würde mancher Fluch und viele Verwünschungen laut vernehmbar sein.
Es ist Tatsache, dass alte Leute, teilweise über 70 Jahre, per pedes zum Omnibus 40 Minuten und länger laufen müssen, dass Kinder vom Ortsteil Trappenfelde bis zu 7 km zur Schule laufen oder Anfahrt mit dem Rade haben.

Alle Hinderungsgründe zum Einsetzen der Omnibusse sind bereinigt worden. Die Anschlusschausseen nach Hönow und Ahrensfelde sind in Ordnung. Die Ausästung der Bäume bis zur Höhe der Omnibusse ist ebenfalls durchgeführt. In Berlin verbietet das Arbeitschutzgesetz den Koll. Kraftfahrern die Weiterfahrt. Ein durchgehender Verkehr von einigen Omnibussen von Mahlsdorf über Hönow nach Mehrow - Ahrensfelde Malchow ist angeblich nicht durchführbar.

Vom Rat des Kreises Bernau wurde der Beschluss im Herbst 1959 gefasst, die letzten drei Gemeinden im Winterhalbjahr 1959/60 an die Omnibuslinien anzuschliessen. Dieser Beschluss ist bisher ebenfalls nicht verwirklicht worden und munter traben, ob jung, ob alt, alle Menschen zu Fuss nach den Anschlußlinien der Omnibusse.

Wenn ein Bürger unseres Dorfes von Mehrow nach der Kreisstadt will, so muss er über Berlin fahren, und wenn alles günstig verläuft, ist er in 2 - 2 1/2 Std. an Ort und Stelle. Die 15 km Entfernung von Mehrow nach Bernau legt ein Radfahrer in einer Std. die Bahn in 2 Std. und der Fußgänger in 3 Std. zurück.

Mehrow darf weiterhin den Dornröschenschlaf führen und die LPG-Mitglieder und die Volksvertretung fahren demnächst mit der Chaise und Viere-lang wie zu Zeiten der alten Römer im Zeitalter der Technik. Wie wollen wir unsere Menschen für die schnelle Entwicklung der Technik begeistern, wenn die dringendsten Probleme nicht gelöst werden ?

Das vollgenossenschaftliche Dorf Mehrow hat eine gute Entwicklung, daher wird die Bitte in aller Öffentlichkeit ausgesprochen, schafft die Verkehrsverbindungen, damit die Menschen, die nach schwerer Arbeit am Kulturleben teilnehmen, schnellstens.

Beim letzten Satz ist der gute Herr Bürgermeister dann doch etwas aus dem Tritt geraten. Sicher wollte er dazu aufrufen, den Leute mittels Omnibus den Zugang zum kulturellen Leben zu ermöglichen.