In den Akten unserer letzten Gutsbesitzerin, Frau Anna Bothe, haben wir interessante Angaben zur Entwicklung des Rittergutes Mehrow gefunden, u.a. über die hier getätigten Investitionen nach dem Kauf des Rittergutes durch ihren Vater, Robert Stock. Weitere Unterlagen, wie beispielsweise Inventarverzeichnisse, belegen, daß es zwischen 1919 (Übernahme des Rittergutes durch Max und Anna Bothe) bis 1930 (Max Bothes Tod) voran ging auf dem Rittergut. Danach ging es dann aber ziemlich steil bergab und Frau Bothe war 1937 gezwungen, das stark verschuldete Rittergut zu verkaufen. Die Steuererklärung jenes Jahres, die uns selbst leider nicht vorliegt, hat offenbar beim Finanzamt keine Zustimmung gefunden. Auch damals gab's da vermutlich schon Beamte, die selbst aus der übelsten finanziellen Situation noch irgendwelche Gewinne und Guthaben heraus rechnen. Dagegen hat sich nun wieder Frau Bothe zur Wehr gesetzt. Entsprechender Schriftwechsel mit ihrem Steuerberater oder Anwalt, einem Herrn Schlüter, ist teilweise erhalten und zeigt sehr eindrucksvoll, wie das ursprünglich auf 6 Millionen Reíchsmark geschätzte Vermögen von Max und Anna Bothe dahingeschmolzen ist.
|
Berlin-Zehlendorf-West, d. 22. Januar 1940 Theodor-Fritsch-Allee 6. Sehr geehrter Herr Schlüter, Antwortlich Ihres gefl. Schreibens vom 18.1. an Herrn Kapitän Raaz teile ich Ihnen ergebenst mit: ... 2) Auf Grund der Tatsache, dass für das Rittergut seinerzeit ein Kaufpreis von rund 1.200.000,- aufgewendet war, später für den Bau einer Mühle etwa 400.000,-, weiterhin für den Bau von 9 Futtersilos, neuen Arbeiterhäusern und Schnitterhaus, Scheune, Rüben- und Kartoffeltrocknerei, Chausseebauten pp. darüberhinaus weitere mehrere hunderttausend Mark aufgewendet worden sind, glaubten Sie herausrechnen zu können, dass trotzdem die Gläubiger erheblich nachgelassen hatten, also immerhin ein Sanierungsgewinn vorlag, letzten Endes per saldo die ganze Sache mit einem Verlust geendet hat. ... Meine Einkommensteuererklärungen, die von Fachleuten aufgestellt worden sind, teilweise sogar von vereidigten Buchprüfern, sind vom zuständigen Finanzamt anerkannt worden, und geben somit auch für andere Zwecke ein richtiges Bild. Meine Einnahmequellen (meistens leider Verlustquellen) setzten sich in der Hauptsache zusammen aus: Land- und Forstwirtschaft (kurz mit „Mehrow“ bezeichnet), Gewerbebetrieb (kurz mit „Hütte“ bezeichnet), Hausbesitz in Berlin, Wallstr., Andreasstr., Koppenstr., (kurz mit „Haus“ bezeichnet). Hierunter gebe ich Ihnen nun die Ertragsergebnisse der beregten [!] 7 Jahre gemäss den Angaben in den Einkommensteuererklärungen: 1930: Mehrow Verlust 131.162,- Hütte Verlust 1.442,- Haus Verl. 34.778,- 1931: Mehrow Verl. 142.216,- Hütte Verl. 14.803,- Haus Verl. 34.806,- 1932: Mehrow Verl. 167.486,- Hütte Verl. 20.301,- Haus Verl. 79.654,- 1933: Mehrow Verl. 145.946,- Hütte Gewinn 766,- Haus Verl. 68.850,- 1934: Mehrow Verl. 110.124,- Hütte Gewinn 12.174,- Haus Verl. 52.081,- 1935: Mehrow Verl. 71.841,- Hütte Gewinn 17.397,- Haus Verl. 60.135,- 1936: Mehrow Verl. 76.061,- Hütte Gewinn 66.841,- Haus Verl. 44.916,- Hieraus geht hervor, dass - wenn ich nur Land- und Forstwirtschaft und Gewerbebetrieb anziehe -in diesen 7 Jahren sich ein Verlust von rund 880.000,- RM. einem Gewinn von rund 95.000,- RM. gegenüberstellt; beziehe ich aber die Wirtschaft des Hausbesitzes in die Rechnung hinein, so stellt sich ein Verlust von rund 1.255.000,- RM. einem Gewinn von 95.000,- RM. gegenüber. Ich denke, dass Sie mit diesen Zahlen und den dazu gehörigen Belägen [!] in dem von Ihnen gewünschten Sinne werden operieren können, die anderen, hier nicht beigebrachten Jahre waren ähnlich. Natürlich bitte ich auf alle Fälle, bevor Sie von diesen Zahlen Gebrauch machen, genau die Frage zu prüfen, ob nicht irgendein Finanzgenie aus diesen ungeheuerlichen Zahlen etwa eine Vermögensgewinn herauskonstruiert, weil ich die beiden hauptsächlichen Verlustobjekte los geworden bin !! oder mir sonst wie steuerlich Schwierigkeiten bereiten könnte, die mir noch unangenehmer wären, als wenn ich die ganze Steuerangelegenheit 1937 auf sich beruhen ließe. Zu diesen ungeheuerlichen Verlusten hat es grossenteils nur deswegen kommen können, weil die Sollzinssätze der Banken so abnorm hoch gewesen sind: Ich bin mit Zinsen bis zu 21% per anno belastet worden. ... |
d. 16. März 1940 An die Berliner Revisions-Aktiengesellschaft z. H. des Herrn Schlüter, Berlin C.2. Neuer Markt 8-12. Sehr geehrter Herr Schlüter, Ich bestätige dankend den Empfang Ihres Entwurfschreibens an das Reichsfinanzministerium, in meiner Einkommensteuersache 1937, in dem ich absprachegemäß einige noch fehlende Zahlen ausgefüllt und kleine Änderungen vorgenommen habe. Die von Ihnen eingesetzten Zahlen kann ich nicht nachkontrollieren, da die betreffenden Akten bei Ihnen sind. Im einzelnen: I.) Ich hielt es für nötig, daß gleich eingangs das Ministerium rein textmäßig einen Überblick darüber bekommt, welche Vermögenswerte anfänglich da waren und wodurch sie bis auf den heutigen Stand abgesunken sind. Deshalb bringe ich in Vorschlag, und bitte, dem in Ihrer Ausarbeitung rot eingeklammerten Teil 1 folgende Fassung zu geben: [Dasselbe bestand aus dem im Kreise Niederbarnim gelegenen Rittergut Mehrow im Werte von 1 3/4 Millionen, ferner aus Grundbesitz in Berlin (Geschäfts- und Wohnhäusern), aus Bargeld, Wertpapieren und Hypotheken. Durch die Heirat der Frau Bothe im Jahre 1918 kam zu diesem Vermögen noch das bei Uslar im Solling gelegene Stahlwerk „Sollingerhütte“ nebst einer Anzahl von Effekten und dergl. hinzu. Mithin betrug das Vermögen meiner Mandantin anfänglich weit über vier Millionen Mark. Der Gatte der Frau Bothe verstarb im Jahre 1930. Im Laufe der Jahre hat sich das obengenannte große Vermögen durch folgende Umstände bis auf den heutigen Stand verringert: 1) Das Stahlwerk Sollinger Hütte arbeitete lange Jahre hindurch bei seiner an und für sich nicht günstigen Lage infolge schlechter Konjunktur mit Verlust, und begann erst vom Jahre 1934 an Gewinn abzuwerfen; 2) Der Berliner Grundbesitz wurde durch Absinken der Mieten und teilweise völligen Mietausfall in steigendem Maße unrentabel und erforderte erhebliche Zuschüsse. Die jährlichen Unterbilanzen dieser Grundstückswirtschaft beliefen sich seit 1930 bis auf RM. 80.000,-- per Anno; 3) Das Rittergut hatte schwerste Verlustjahre durchzumachen, trotzdem die Leitung dieses Betriebes Persönlichkeiten übertragen wurde, die als erste Fachleute galten, und nichts unversucht blieb, die Ausgaben auf ein Mindestmaß zu beschränken und die Wirtschaft rentabel zu gestalten. Dies gelang nicht, denn eine Reihe von Dürrejahren, die schon im ganzen Reich verhängnisvolle Folgen für die Landwirtschaft hatten, wirkten sich für das Rittergut Mehrow ganz besonders katastrophal aus, nachdem seit Errichtung von Hochspannungsleitungen in unmittelbarer Ortsnähe die geringen Niederschlagsmengen auch noch abgelenkt und dem Gut entzogen wurden: Es folgten dauernde Missernten. Des weiteren waren die Zinssätze, die für die Schuldkapitalien zu zahlen waren, durchgängig sehr hoch und betrugen - beispielsweise 1931 - bis zu 21% per Anno. Derartige Summen konnten natürlich von einem Landwirtschaftlichen Betriebe nie erwirtschaftet werden. Die nicht gezahlten Zinsen wurden zum Schuldkapital geschlagen; 4) Die Wertpapiere, soweit sie nicht schon an und für sich gänzlich wertlos geworden waren (Inflation pp.) mußten mit großem Verlust verkauft werden, um zusammen mit den veräußerten Hypotheken und dem Bargeld die nötigen Stützungsaktionen für die Liegenschaften und Betriebe zu ermöglichen. Nach Verlust dieser Barmittel mußten im Jahre 1937 bezw. 1938 der Berliner Grundbesitz und das Rittergut Mehrow zwangsläufig verkauft werden, und zwar letzteres trotz Nachlassens der Gläubiger des Gutes noch per saldo mit einem ganz erheblichen Veräußerungsverlust. Der oben geschilderte, trotz größter Anstrengungen, sparsamster Wirtschaftsführung und eigener Beschränkung nicht aufzuhaltende wirtschaftliche Niedergang auf der ganzen Linie wirkt sich auf das steuerliche Vermögen wie folgt aus:] II.) ... III.) Den in Ihrem Text rot eingeklammerten Teil 2 habe ich etwas anders gefasst, und zwar vor allem deshalb, weil wir mit der Aufzählung der flüssigen Mittel von 1933 bis 1939 unseren Zweck nicht recht erreichen würden; die Niederlegung dieser Summen würde erhebliche Beträge ergeben, vielleicht sogar eine aufsteigende Kurve, und trotzdem nicht das richtige Bild für die tatsächlich vorhandene ungünstige Situation wiederspiegeln. Wir können unseren Zweck auch ohne etwa falsche Angaben auch auf andere Weise erreichen, und ich bitte Sie, diesem Absatz folgende Fassung zu geben: [Im Betriebsjahr 19139 hat das Stahlwerk die Summen, die in diesem Zeitabschnitt aufzubringen waren, nicht erwirtschaften können, trotzdem mit aller Kraftanspannung gearbeitet wurde. ... 1) Trotzdem der Betrieb bereits erheblich belastet war, wurde die Besitzerin genötigt, im Oktober vergangenen Jahres einen neuen Kredit im Betrage von RM 55.000,-- aufzunehmen. Obwohl sehr vorsichtig disponiert wurde, und fällige Zahlungen nach Möglichkeit hinausgeschoben wurden, musste die zur Verfügung gestellte Kreditsummen auch alsbald erheblich angegriffen werden. (Der Kredit muß zum Teil im Jahre 1940, mit dem Restbetrage im Jahre 1941 wieder abgedeckt werden.) 2) Der Bankenausweis per 1. Januar 1940 ergibt per saldo, daß zu Beginn des neuen Geschäftsjahres alle eigenen Mittel völlig verbraucht und darüber hinaus vom Kredit bereits RM 19.000.- in Anspruch genommen waren. Das Stahlwerk - die nunmehr einzige Einnahmequelle meiner Mandantin hat also im Jahre 1939 nicht soviel erwirtschaften können, dass es aus eigener Kraft seine Verpflichtungen erfüllen konnte. Wenn hierzu im einzelnen noch mitgeteilt wird, daß das Werk im Jahre 1939 ausser den laufenden Betriebsausgaben hat aufwenden müssen: An Restverpflichtungen aus dem Verlustverkauf des Gutes RM. 48.000,- an Investitionen zur Einrichtung und Aufrechterhaltung des Betriebes als wehrwirtschaftlicher Betrieb RM. 30.000,- an Steuerzahlungen RM. 129.000,- im Jahre 1939 also Sa. RM. 207.000,- so erklären diese Zahlen im Zusammenhang mit den weiter oben gemachten Ausführungen die vorliegende, höchst ungünstige Finanzlage. ... Das kurzgefaßte Endergebnis der vorstehenden Ausführungen ist die Tatsache, daß meine Mandantin von einem anfänglich großen Besitz an verschiedenen Betrieben. Liegenschaften und Geldwerten von weit über vier Millionen Mark jetzt nur noch das Stahlwerk besitzt. Dasselbe arbeitet zur Zeit zwar relativ gut, der positive Arbeitserfolg aber ist anhand der großen Verpflichtungen die auf dem Werk lasten und auch weiterhin noch lasten werden, ein durchaus negativer, denn: 1) In vergangenen Jahren konnten irgendwelche Reserven, die bei den jetzt eingetretenen Verhältnissen ganz besonders nötig wären, nicht erwirtschaftet werden. 2) Gegenwärtig ist das werk nicht einmal in der Lage, sich aus eigener Kraft über Wasser zu halten, arbeitet vielmehr zum Teil mit neuem Kredit. 3) Auch in der nächsten Zukunft dürfte das Werk die allergrößten Schwierigkeiten haben, seine derzeitige prekäre Lage zu verbessern.] ... |
d. 4. April 1940 Sehr geehrter Herr Schlüter, Im Verfolg Ihrer heutigen telefonischen Unterredung mit Herrn Kapitän Raatz gebe ich Ihnen hierunter noch zwei Zusammenstellungen, von denen ich allerdings nicht weiss, ob bezw. wieweit Sie dieselben für Ihre Ausarbeitungen verwerten können. Die erste Aufstellung ist eine Inventur per 1. Januar 1918, aufgestellt von meiner Bilanzbuchhalterin nach den Geschäftsbüchern. Aus dieser geht hervor, dass mein Vermögen am 1. Januar 1918 und zwar bereits nach Abzug der Belastungen und Schulden über 4,3 Millionen Mark betrug. Hierzu kommt noch das Vermögen, was mein Mann Mitte 1918 in die Ehe gebracht hat, dieses ist mit etwa 2 Millionen zu beziffern, sodaß von Mitte 1918 ab das gemeinsame Vermögen rund 6 Millionen betragen hat. Die zweite Aufstellung geht aus von dem Kaufpreis des Rittergutes Mehrow im Jahre 1900 und enthält die von diesem Zeitpunkt an bis zum Verkauf des Gutes im Jahre 1937 hineingesteckten Investitionen für Neuerwerb, Bauten, Verbesserungen pp. Getrennt nach bestimmten Zeitabschnitten. Diese Aufstellung, die also nicht mein ganzes Vermögen, sondern nur das Rittergut Mehrow betrifft, schließt ab mit rund 2,4 Millionen. Hierzu ist noch zu bemerken, daß diejenigen Belastungen, die ursprünglich auf Mehrow ruhten, im Laufe der Jahre abgelöst und durch jene ersetzt wurden, die zum Schluß noch auf Mehrow waren und Ihnen bekannt sind. ... |
Inventur per 1. Januar 1918 Aktiva: I. Grundstücke: 1. Rittergut Mehrow 1.555.000,-- 2. Berlin, Wallstr. 23/24 1.610.000,-- 3. Berlin, Koppenstr. 64, als Hälfte 301.671,-- 4. Berlin, Andreasstr. 37, als Hälfte 113.547,-- 3.580.218,-- II. Hypothekenforderungen: Stock Motorpflug 625.000,-- Dr. Waldschmidt 150.000,-- Zinkraffinerie Oberspree 165.000,-- Prinz Friedrich Leopold 220.000,-- " " " 175.000,-- 1.335.000,-- III. Darlehensforderungen: Müller, Dirschau 2.177,50 IV. Bankguthaben: 27.608,-- V. Effekten: Diverse zum Kurswert 614.160,-- VI. Amortisationsfond: 78.344,60 5.637.508,10 ============ Passiva: I. Hypothekenschulden: Pr. Centr. Boden 950.000,-- Neumärkische Ritterschaft 235.000,-- Wwe Müller, Pankow 60.000,-- 1.245.000,-- II. Darlehen: Frieda Müller, Werneuchen 58.851,34 III. Renten: Rentenbank Berlin 10.983,02 1.314.834,36 ============ Aktiva 5.637.508,10 abzgl. Passiva 1.314.834,36 = Vermög. 4.322.673,74 |
Rittergut Mehrow, Kaufpreis zuzüglich Investierungen Kaufpreis 1900 1.300.000,-- Aufwendungen bis Ende 1913: Chausseebau zum Vorwerk 85.000,-- Hofschuppen 15.000,-- Feldscheunen 20.000,-- Blumberger Haus 20.000,-- Rotes Haus 18.000,-- Neuerwerb Erbhof 120.000,-- 278.000,-- Aufwendungen 1914 bis Ende 1917: ------- Aufwendungen 1918 bis Ende 1924: Landerwerb GM. 53.000,-- Mühleneinrichtung GM. 224.000,-- Brennereieinrichtung GM. 20.000,-- Trocknereieinrichtung GM. 26.000,-- Neubauten GM. 100.000,-- Aufbau Rindviehbestand GM. 30.000,-- 453.000,-- Aufwendungen 1925 bis Ende 1929: Neubauten 195.000,-- Molkereieinrichtung pp. 22.000,-- Maschinen, Kraftwagen 52.000,-- Aufbau Rindviehbestand 45.000,-- Aufbau des Schweinebestandes 4.000,-- Bau von 9 Silos 50.000,-- 368.000,-- Aufwendungen 1930 bis zum Verkauf: ------- ---------------- Sa: 2.399.000,-- ================ |
Die vorstehenden, mit Maschine geschriebenen Unterlagen entstammen einem Ordner "A. Bothe" im Nachlaß von Anna Bothe, den uns Familie Müller aus Nordhorn freundlicherweise geliehen hat. |