Beim Herumstöbern in "Anna Bothes Bilderkiste" sind wir auf ein Bild gestoßen, das unsere letzten Gutsbesitzer, Anna Bothe (3. von rechts) und ihren Mann Max (2. von rechts) zusammen mit anderen Personen in einem Weinkeller zeigt, an dessen Wand folgende altbekannten Lebensweisheit geschrieben steht:

Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang,
der bleibt ein Narr ein Leben lang.

Nun hätte das ja irgendwo sein können, denn in der Bilderkiste sind auch Urlaubsbilder und Aufnahmen von Orten, an denen Anna Bothe vor und nach ihrer Mehrower Zeit gelebt hat.
Aber ein Blick auf die Rückseite des Bildes verrät, daß das Bild hier in Mehrow aufgenommen wurde, denn da steht:
 
Mehrow - Pfingsten 1919.

Also, die Aufnahme im Weinkeller ist in Mehrow entstanden.
Aber wo gibt es bei uns im Ort einen Weinkeller ?

Am nahe liegendsten ist da natürlich der Keller des Schlosses unter der zurzeit verwaisten Kneipe. Fehlalarm: Dort findet sich nur Müll von Kneipergenerationen (seit 1956 gab es hier insgesamt 29 Gaststättenpächter!) und eine verkeimte Zapfanlage des letzten Gaststättenbetreibers - weshalb man dort zuletzt nur Flaschenbier trinken konnte.

Aber warum fragen wir nicht gleich Frau Pfeil ?
Obwohl sie "erst" seit 1956 hier im Ort lebt, kenn sie sich besser aus, als mancher "Ureinwohner". Schließlich hat sie über viele Jahre hier in Mehrow den Konsum geführt, den Hort geleitet und die Bibliothek aufgebaut und betreut - und sie wohnt wie nunmehr als einzige im "Schloß" (das von unromantischen Mitbürgern mitunter auch als Gutshaus, Kulturhaus oder Gemeindehaus bezeichnet wurde und wird).

Also, Frau Pfeil muß bei der Frage nach dem Weinkeller gar nicht überlegen, sondern greift sich die Taschenlampe und steigt mit dem erwartungsfrohen Reporter hinab in ihren Hauskeller.

Der befindet sich im ehemaligen Heizungstrakt im nord-westlichen Teil des "Schlosses" und ist durch einen (leider nicht sehr schmückenden) überdachten Eingang an der Giebelwand erreichbar.

Vorbei an dicken Feldsteinen, die zum Fundament des Hauses gehören und in die Kellertreppe hinein ragen, gelangt man in ein finsteres Verließ, in dem sich offenbar nur Unmengen von Spinnen wohlfühlen. Geradezu steht der alte Heizungskessel und links geht es ein paar Stufen hoch durch einen nachträglich eingebrachten Mauerdurchbruch es in einen Raum, der jetzt als Hauskeller dient.

Und siehe da: wenn wir uns umdrehen, erkennen wir über dem Mauerdurchbruch, durch den wir gerade gestiegen sind die Reste der oben zitierten Inschrift bezüglich "Wein, Weib und Gesang".
Also hier, wo jetzt ein paar zerlegte Möbel und Umzugskisten lagern, hat sich vor gut 80 Jahren Familie Bothe eines sicher edlen Tropfens erfreut.
Was waren das doch für Frevler, die vor Jahren an diesem historischen Ort eine Tür in die kunstvoll bemalte Wand geschlagen haben ?

Wenigstens ist über dem zugemauerten alten Eingang die uns bisher noch nicht bekannte Wandbemalung unbeschädigt erhalten geblieben.

Dort ist in verschnörkelter Schrift eine weitere, zu tiefst zu Herzen gehende literarische Kostbarkeit an die Wand geschrieben:

In Gemeinheit tief versunken,
liegt der Tor vom Rausch bemeistert,
wenn er trinkt, ist er betrunken,
trinken wir, sind wir begeistert.

Wenn doch nur noch ein Fläschlein guten Weins im Regal läge! Aber nichts ist damit.

Dort wo einst Max und Anna (die beide als sehr trinkfest galten und nach Erzählungen von Frau Müller aus Alfeld durch wechselseitiges Prosten ihre Umgebung zu doppeltem Konsum animierten) einst ihre Gedanken spinnen ließen, weben jetzt dicke Spinnen ihre Netze. Dies allerdings fast wie unter freiem Himmel, denn die Decke des Gewölbes ist kunstvoll mit Weinlaub bemalt.

Es bleibt nur zu hoffen, daß der künftige Kneiper, der das Haus erwerben soll und will, ein Auge dafür hat und die Reste des Weinkellers erhält oder diesen sogar wieder herrichtet.