Mit dem 390er Bus von Mehrow nach Ahrensfelde - Erlebnisse eines Reisenden
Es ist Montag, der 20. Oktober 2014, kurz nach 6 Uhr. Die Laterne vor der Feuerwache blitzt beim Vorbeigehen kurz auf und bietet für ein paar Sekunden Licht auf der sonst ziemlich finsteren Straße ohne Fußweg. Am Horizont die Bushaltestelle – Mehrow Kirche.
Letztere ist seit ein paar Tagen wieder nachts beleuchtet. Das sieht schön aus und hebt die Freude, hier auf dem Dorf und nicht irgendwo in der großen Stadt zu wohnen. Wenn da nur nicht die lästigen Verkehrsverbindungen wären. Stets wird am Fahrplan herumgestrichen, insbesondere vorn und hinten. Den Bus kurz nach fünf von Mehrow nach Ahrensfelde gibt’s nicht mehr und der letzte Bus zurück fährt von Jahr zu Jahr früher – jetzt kurz nach halb sieben.
Nun nimmt unsereins jeden Tag den zweiten Bus weg von Mehrow und den letzten Bus zurück, um den Arbeitgeber durch eine (in manchen Branchen durchaus noch übliche) Anwesenheit von acht Stunden plus Mittagspause zu erfreuen. Wenn der Fahrplan noch mehr gestaucht wird und man nicht vor Verzweiflung aufs Auto umsteigen will, muss man wohl wie die Lokführer oder die Piloten in Streik treten, um eine Arbeitszeitverkürzung zu erstreiten – oder die bei der Lufthansa bisher übliche Vorruhestandsregelung, dann müsste man überhaupt nichtmehr täglich in den Bus steigen.
Apropos Streik: Die in der GDL organisierten Lokführer haben bis heute früh gestreikt und in ein paar Stunden fangen die Piloten der Lufthansa an. Was hat es zu bedeuten, dass der Bus heute nicht zur gewohnten Zeit kommt? Nutzen die Busfahrer die Lücke zwischen den Streiks für eine eigene Arbeitsniederlegung? (Im Vergleich zu den Piloten hätten sie bestimmt viel mehr Grund dazu …) Ab heute sind doch Ferien und weil da üblicherweise am Morgen weniger Verkehr auf der Straße ist, müsste der Bus doch eigentlich pünktlich sein. Oder ist er schon durch? Ein Fahrer, der unlängst mal darauf hinwiesen wurde, dass er zwei Minuten zu früh losgefahren ist, hat was von „Toleranz“ erzählt – das war aber auf der letzten Runde. Heute ist es die erste Runde, die beginnt keiner zu früh.
Zu früh, zu spät, da war doch was mit dem Ferienfahrplan … Fahren nicht in den Ferien die Busse nach Ahrensfelde immer ein paar Minuten später und die nach Mehrow ein paar Minuten früher, damit man den Busfahrern nicht zu viel Pause bezahlen muss? Eine Bitte an die BBG, den Fahrgästen den Fahrplanwirrwarr zu ersparen, ist nicht mal beantwortet worden. Aber wie sich an diesem Tag noch zeigen wird, hat die Busgesellschaft inzwischen selbst den Durchblick beim Fahrplan verloren.
Stichwort Fahrplan. Wie in Ahrensfelde, so hängt auch hier in Mehrow nur der Fahrplan für die Schulzeit aus (je Richtung ein DIN-A3-Quer-Blatt mit genau einer Spalte). Um die Sache spannend zu machen, hängt hier eine Hälfte auf der Rückseite des Haltestellenmastes, gut abgeschirmt gegen jeden Einfall von Laternenlicht. Wenn wolkenloser Himmel und Vollmond wäre, würde sich vielleicht das Mondlicht im Dorfteich spiegeln – wäre da nicht die dicke Schicht Entengrütze auf dem Teich. Jemand, der sich das Rauchen abgewöhnt und deshalb kein Feuerzeug in der Tasche hat, ist in einem solchen Fall echt aufgeschmissen.
Der verängstigte Fahrgast hat aber vorgesorgt und irgendwo im Rucksack einen ausgedruckten Fahrplan, weil der ausgehängte ja eigentlich schon wieder überholt ist. Im Internet gibt es bei der BBG längst einen neuen (der aber nur bei einer Tour eine Änderung enthält). Dieses aus den Tiefen des Rucksacks hervorgezauberte Stück Papier klärt auf: Der Bus von Mehrow nach Ahrensfelde, der üblicherweise um 6.08 Uhr fährt (Fußnote b: 29. Sept bis 17. Okt, nicht 3. Okt), verkehrt in der Ferienzeit um 6.17 Uhr (Fußnote c: 20. bis 28. Okt.). Um 6.17 fährt hier sonst der Bus nach Blumberg – aber mit Fußnote b, also nicht in den Ferien.
So gegen 6.17 Uhr kommt dann endlich auch ein Bus. Auf dem Zielanzeiger steht „Blumberg“. Ja, was denn nun? In der Schulzeit würden Abfahrtzeit und Ziel stimmen, aber in den Ferien fährt lt. Fahrplan um diese Zeit gar kein Bus nach Blumberg … Na, der Busfahrer wird es schon wissen. „Fahren Sie nach Ahrensfelde?“ Busfahrer: „Ja.“ „Aber da vorn steht Blumberg dran.“ Busfahrer: „Da fahr ich auch noch hin.“ „Aber in welcher Reihenfolge?“ Busfahrer: Schweigen, Grübeln, Fahrplan-Blättern und am Display Rumklickern. Nach ein paar Minuten setzt der Bus sich dann in Bewegung. Da innen auf dem Bildschirm alle denkbaren Haltestellen und Ziele durchlaufen, kommt aber die Befürchtung auf, dass sich Busfahrer und Bordcomputer noch nicht geeinigt haben.
An der letzten Haltestelle vor der Ahrensfelder Dorfstraße, dort wo sich morgens eh kaum was in der Fahrzeugschlange bewegt, bleibt der Busfahrer an der Haltestelle stehen und startet an seinem Bordcomputer neue Programmierversuche. Das Angebot, Einblick in den Fahrplan aus dem Rucksack zu nehmen, wird dankend und schon ziemlich entnervt abgeschlagen. Der Busfahrer sagt, er hätte selber einen Plan. Nach dem fährt er den Wagen 4, aber wenn er Wagen 4 in den Computer eingibt, dann zeigt der „Blumberg“ als Ziel. (Vermutlich weiß der Computer nicht, wann Ferien sind …) Ein live an die Fahrgäste übertragener, verzweifelter Anruf des Busfahrers bei der Leitstelle endet in einem „Ich kann da auch nichts machen. Da musst Du jetzt durch.“
Zum Glück ist der Busfahrer wie die Mehrzahl der Fahrgäste der Meinung, dass die Tour nach Ahrensfelde gehen müsste und reiht sich hinter der Tankstelle in die richtige Spur ein. Der einzige Fahrgast, der nach Blumberg wollte, betrachtet das ziemlich verstört, erinnert sich aber, dass man von Ahrensfelde Friedhof mit der ODEG nach Blumberg fahren kann. Wegen der ganzen Trödelei sind es nun aber nur noch wenige Minuten bis der Zug dort fährt Die Anzeige auf dem Bildschirm im Bus gleicht immer noch einer modernen Bandenwerbung beim Fußball. O-Bus-Reklame und ähnlich wichtige Anzeigen der Busgesellschaft wechseln sich mit Haltestellenanzeigen aus dem Zufallsgenerator ab. Der Fahrgast nach Blumberg bekommt aber von den anderen gesagt, wo er auszusteigen hat und schafft sogar noch seinen Zug.
Der Rest freut sich in Ahrensfelde, dass dort trotz voran gegangenen Streiks eine S-Bahn im Bahnhof steht und nimmt auch gelassen hin, dass sie das noch weitere zehn Minuten tut. Um 6.50 Uhr geht es dann in Richtung Innenstadt, mit etwas Glück schafft man sonst die Bahn um 6.20 Uhr. Aber was sind schon 30 Minuten …
Morgen ist ein weiterer Ferientag und mit Sicherheit ein anderer Fahrer am Lenkrad (vermutlich, um Gewöhnungseffekte zu vermeiden). Mal sehen, wie der das Problem meistert.
Benedikt Eckelt, Fahrgast mit Umweltkarte ABC für jährlich 924 Euro