Zu den vielen Reizen die Altlandsberg zu bieten hat, zählt seit einem Jahr auch die von Dorica Poggi geleitete Theatergruppe, die ihre Stücke im Altlandsberger Gutshaus aufführt und sich folgerichtig "Theater im Gutshaus" nennt.
Wir waren im vorigen Jahr schon mal bei der sehr amüsanten und kurzweiligen Aufführung des Stücks „Ach Jott, was sind die Männer dumm". Der Titel des Stücks (Wer lässt sich nur so was einfallen ...) ist zwar ein Fall für den Gleichstellungs­beauftragten, aber die gespielten Episoden waren witzig und haben letztlich gezeigt, dass die Männer an sich gar nicht so schlecht sind, sondern immer nur falsch verstanden werden.

Ein Jahr später, am 11. Mai 2012, hatte die Theatergruppe wieder ins Gutshaus eingeladen und die Einladung gleich mit dem warnenden Hinweis versehen, dass es dieses Mal recht ernst und nachdenklich zugehen sollte. Unter dem Titel "Lebenskreise" sollte Lyrisches und Musikalisches zum Thema Leben und Tod dargeboten werden. Seichte Unterhaltung durfte also niemand erwarten. Und tatsächlich war das, was Frau Poggi da an Texten und Episoden herausgesucht und einstudiert hat, ziemlich schwere Kost - und eine unglaubliche Herausforderung an die Darsteller.
Das Grandiose an diesem Abend war, dass alle Darsteller diese Herausforderung gemeistert haben und über sich hinaus gewachsen sind. Die Mehrzahl der Szenen lebte vom gesprochenen Wort bei nur mäßiger Bewegung. Da gab es nur wenig Möglichkeit, Unsicherheiten zu überspielen.
Horst Hildenbrand, Werner Stephan und Dorica Poggi konnten das gleich mit Auszügen aus der „Spoon River Anthologie“ von Edgar Lee Masters (1868-1950) unter Beweis stellen. Der lässt die Toten, die nahe seiner Heimatstadt auf einem Hügel (Oak Hill) begraben sind, zu Wort kommen und ihre eigenen Nachrufe vortragen. Diese wecken nicht von Natur aus bei Jedem Interesse, aber wenn sie wortgewaltig und aufrüttelnd vorgetragen werden, schon.
Otto Edel hatte an diesem Abend seinen Einstieg mit einer modernisierten Fassung des „eingebildeten Kranken“ von Moliere (1622-1673): Handy-Anruf beim Arzt!
Dabei und auch in den folgenden Rollen erwies sich Otto Edel als ein ganz brillanter Schauspieler, bei dem jedes Wort (natürlich frei vorgetragen!), jede Körperbewegung und jeder Gesichts­ausdruck passte. Wenn man den vermeintlich Kranken sah, hätte man am liebsten als Zuschauer den Arzt gerufen - aber die Leitung war ja schon besetzt ...

Das Gesagte gilt auch für Otto Edels Rolle als Drogist Trainor (links) in der Spoon River Anthology. Auch wenn er dort nur erzählt und nicht vorführt, wie er als Apotheker bei einem chemischen Experiment ums Leben gekommen ist.

Horst Hildenbrand und Brigitte Schulz setzten dann als Mr. Benjamin Pantier und Mrs. Pantier fort: zwei Eheleute aus dieser Anthologie, die über ihr verflossenes gemeinsames und nicht gemeinsames Leben sinnierten. Der Apotheker hat sie zuvor als Sauerstoff und Wasserstoff bezeichnet, bei deren Zusammentreffen nur vernichtendes Feuer entsteht ...
Danach stand ein Familientreffen an Draculas Grab auf dem Programm. Zwei Vampire aus der Verwandtschaft des Grafen, die nur wenige hundert Jahre Altersunterschied aufwiesen, nutzten das Treffen zum Wehklagen über das Heute, wo nicht mehr alles Blut ist, was so als Konserve daher kommt. Sie schwelgten in Erinnerungen an die alte gute Zeit, wo es noch ordentlich was zu beißen gab.
Brigitte Hildenbrand und Marlis Greil haben ihre Rollen als Vampire prächtig ausgefüllt und der Senior-Vampir hat auch prima überspielt, dass schon beim ersten Nippen am Blutbecher die für einen Vampir nun mal unverzichtbaren langen Vorderzähne rausgefallen sind. Obwohl bei diesem Akt Kostümierung und Bewegung eine unverzichtbare Rolle spielten und eine ordentliche Portion Klamauk enthalten war, lag auch hier der Schwerpunkt auf den vorgetragenen Gedanken zum Sein und Gewesensein. Gut gemacht!
Danach kamen dann wieder verschiedene Figuren von Edgar Lee Masters auf die Bühne, um der Zuhörern und Zuschauern ein paar Gedanken zuzuwerfen: Conrad Siever und Abel Melveny (Werner Stephan), George Gray (Otto Edel), Elsa Wertman (Brigitte Hildenbrand), Sarah Brown (Marlis Greil). Und auch Horst Hildenbrand, den wir als Nachtwächter von Altlandsberg kennen, kam nochmal zum Zuge.
Für die musikalische Begleitung sorgte Willi Tischer, dem die schwierige Aufgabe zufiel, von einem Akt zum andern überzuleiten, ohne sich dabei in den Vordergrund zu spielen.
Den Schluss bildete ein ziemlich gewagtes Unterfangen, das prima gelungen ist: Die auf Edgar Lee Masters „Oak Hill“ begrabenen Menschen - früher Nachbarn in der Kleinstadt, jetzt Nachbarn auf dem Friedhof - liefen wie Schlafwandler kreuz-und-quer über die Bühne und führten dabei Monologe, in denen sie laut über ihr einstiges Leben resümierten.
Bei flüchtigem Hinhören war das nur ein Stimmengewirr, aber wenn man sich auf irgend­einen aus der Gruppe konzentrierte und ihm Augen und Ohren widmete, dann konnte man ihn verstehen und seiner Erzählung folgen.
Es gehört schon was dazu, das so hinzubekommen!
Einem bekennenden Kunstbanausen, der vorher weder Edgar Lee Masters kannte, noch irgendwas am Hut hat mit Michael Tschechow Theater-Theorien, auf denen die Art des Vortrags basierte, steht es nicht an, ein Urteil über den Abend zu fällen. Er kann nur sagen, dass der Vortrag im besten Sinne des Wortes sehr außergewöhnlich war, und den Schauspielern sowie Dorica Poggi als Intendantin ein großes Lob für die großartige Darbietung zollen.
Man kann schon gespannt sein, was da demnächst vom „Theater im Gutshaus“ geboten wird.
Es lohnt sich ganz bestimmt, mal wieder vorbeizuschauen.