Es ist nun schon eine gute Tradition, dass jedes Jahr an den Dezembertagen vor Weih­nachten in einer der Brandenburger „Städte mit historischem Stadtkern“ im Beisein des RBB-Fernsehens ganz feierlich ein Kalender­türchen geöffnet wird.
Altlandsberg ist bisher in jedem Jahr dabei gewesen. Im letzten Jahr (2011) wurde am 18. Dezember die Tür zum Haus des Altlandsberger Heimatvereins geöffnet, in diesem Jahr stand am 23. Dezember die zu öffnende Tür mitten auf dem Marktplatz und war bestens bewacht: vom Nachtwächtergehilfen Robin und vom Weihnachtsmann ganz persönlich.
Bürgermeister Jaeschke hat trotz des üblen Wetters keine Gnade mit den Wartenden gehabt und die vorbereitete Ansprache kaum abgekürzt. Wer hier auf den Marktplatz will, muss erst mal was über die Stadt erfahren. Recht hat er!
Die Stadt wird viel zu oft „links liegen gelassen“, obwohl es hier so viel zu sehen und zu erleben gibt.
Zu den Wartenden gehörten auch die Altlandsberger Cheerleader, die sich ganz offiziell
„Team Germany der United Dancing Angels, Altlandsberg e.V.“ nennen. Obwohl sie mit ihren vom Regen durchtränkten Weihnachtsmannmützen in der Kälte klapperten, hielten sie tapfer durch. Schließlich wollten sie später noch ihre Künste zeigen.
Irgendwann war es endlich so weit: Nein, der Regen hörte nicht auf, sondern wurde eher stärker, aber nun öffnete sich das von Herrn Edel kunstvoll bemalte Tor.
Zum Vorschein kam dahinter der Nachtwächter, ohne den in Altlandsberg offenbar gar nichts geht und ohne dessen Erlaubnis keiner durch das Tor auf den Marktplatz kommt.
Trotz offenem Tor blieb also der Weg zum Bierzelt noch versperrt - wenn der Nachtwächter alias Horst Hildenbrand auftaucht, dann muss man immer mit einer Rede rechnen. Und die ist in der Regel in Reime gefasst, wie an diesem Tag, als er mit einem Gedicht die wechselvolle Geschichte des Altlandsberger Marktplatzes schilderte, der vom Kriegsende bis zum Abzug der sowjetischen Truppen eingezäunt und für die Bevölkerung gar nicht zugänglich war.
Der Bürgermeister hat ihm dabei als Schirmhalter assistiert und offenbar keine Angst um seinen Schirm gehabt, an dessen Innenseite des Nachtwächters Hellebarde schabte.
Ob der Nachtwächter nach seinem Vortrag freiwillig beiseitegetreten ist oder von den durchgefrorenen Massen überrannt wurde, lässt sich nicht mehr rekapitulieren.
Schaden kann er aber nicht genommen haben, denn wenig später wurde er putzmunter mitten im Volk gesehen.
Putzmunter waren auch Robin und der Weihnachtsmann, die vor Wind und Regen geschützt die Eröffnungs-Zeremonie gut überstanden hatten.
Im großen Bierzelt waren ganz schnell die vorderen Reihen besetzt, von wo aus man den besten Überblick hatte.
Auf der Bühne gegenüber fingen nämlich plötzlich zwei Altlandsberger Marktweiber an, miteinander zu tratschen.
Alle Neuigkeiten der letzten Wochen wurden gut gewürzt unters Volk gebracht.
Den Herrn im Hintergrund hätte man für jemand halten können, der für die Beschal­lung zuständig ist, aber da trotz der großen Lautsprecher (wie schon beim Tor-Öffnen) kaum was zu verstehen war, handelte es sich vermutlich doch nur um Security, die aufpassen sollte, das niemand an die Zeltplane pinkelt.
Während Auswärtige wegen des drohenden Blitzeises an einen baldigen Rückzug dachten, strömten noch neue Besucher auf den Platz.
Sicher haben die Veranstalter noch mehr Gäste erwartet, aber bei diesem Wetter am letzten verkaufsoffenen Sonntag haben doch manche das Kaufhaus vorgezogen.
Die Fernsehleute hatten vermutlich auch schon den Rückzug in Erwägung gezogen, um schnell ins Studio zu kommen und bis zur abendlichen „Brandenburg Aktuell“- Sendung (wie jeden Tag um 19.30 Uhr im RBB) den Beitrag fertig zu haben.
Aber da machte die Nachricht die Runde, dass die Altlandsberger Cheerleader, die schon so lange ausgeharrt hatten, noch eine Kostprobe ihres Könnens zeigen wollen.
Und da die Herren vom Fernsehen auch nur Menschen sind und den Reizen junger hübscher Damen schwer wiederstehen können, haben sie Kamera und Mikrofon auf die rot-weiß bemützten Mädels der „Vereinigten Tanz-Engel“ gerichtet, um (nach den vorangegangenen Aufnahmen schon etwas gesetzter Herren und Damen) sich und den RBB-Zuschauern noch ein paar visuelle Leckerbissen zukommen zu lassen. Dafür dann man durchaus ein paar Minuten länger bleiben.
Der Nachtwächter hatte längst seine Hellebarde und die Laterne beiseite gestellt, denn noch war es Tag, wenn auch schon etwas dämmerig. Das war noch nicht die Zeit, in der er durch die Straßen ziehen und nach Feuer und Unholden Ausschau halten muss. Noch konnte er die angenehme vorweihnachtliche Stimmung auf dem Marktplatz genießen und sich am Programm der Cheerleader erfreuen. Die jüngsten in der Truppe hatten es ihm und den anderen Zuschauern besonders angetan.
Horst Hildenbrand muss sich unter den Kleinen stets nach Nachtwächter-Nachwuchs umsehen, denn die Schar seiner jungen Nachtwächtergehilfen ist aus verschiedensten Gründen ziemlich ausgedünnt. Nur Robin, der oben als Torwächter zu sehen ist, ist noch ständig dabei. Ein paar zusätzliche Gehilfen wären schon angenehm.
Frau Edel, die in Altlandsberg eine Keramikwerkstatt betreibt und Töpferkurse anbietet, hatte viele hübsche Keramiken mit auf den Markt gebracht. Die kleinen Dinge trug sie in einem Bauchladen herum, die größeren Kerzenständer, Vasen und Skulpturen waren im Zelt aufgebaut und sorgten zusammen mit vielen Kerzen für eine angenehme Atmosphäre.
Der Regen, der tagsüber bei Tauwetter nur lästig war und für Pampe auf allen Wegen sorgte, wurde am späten Nachmittag zu einer echten Gefahrenquelle: Es wurde zunehmend kälter und an manchen Stellen gefror der Regen, sobald er auf den Boden traf. Das ergab das gefürchtete Blitzeis. Da wurde es höchste Zeit, sich auf dem Heimweg zu begeben.
Es gab da aber noch einen Grund, auf dem Weg zum Auto innezuhalten. In der nordöstlichen Ecke des Marktplatzes liegen die sowjetischen Kriegstoten, die ursprünglich über den ganzen Platz verteilt bestattet waren, weshalb dieser jahrzehntelang für die Öffentlichkeit gesperrt war. Das war für die Bewohner sicher schwer zu verkraften, aber trotzdem erweisen sie offenbar den Gefallenen die gebotene Ehre - unter der angeschmolzenen Schneedecke kamen Blumengebinde zum Vorschein, die dort auf den Grabplatten abgelegt wurden.