Wer mit halbwegs offenen Augen durch Altlandsberg läuft oder fährt, wird in dieser noch zu zwei Dritteln von einer Mauer umgebenen Stadt viele interessante Dinge entdecken, angefangen von den Türmen an den Straßen nach Berlin und Strausberg, über die dicht beieinander stehenden Kirchen bis hin zu den Skulpturen und bunten Figuren, die über die Stadt verteilt sind.

Wer mehr über diese etwa 780 Jahre alte Stadt erfahren will, der sollte sich dem ehrenamtlichen Nachtwächter der Stadt anschließen und mit ihm eine abendliche Tour durch die Gassen und Höfe machen.


Wir haben das im Februar 2009 gemacht - bei dem übelsten Wetter, das man sich für einen solchen Anlass denken kann: peitschender Wind und Regen ohne Unterlass. Aber selbst bei solchem Wetter muss ein Nachtwächter 'raus auf die Straße, denn Feuer und Diebe schrecken auch vor schlechtem Wetter nicht zurück.
Und es gibt auch jede Menge ehrbarer Leute, die solches Wetter in Kauf nehmen, wenn der Nachtwächters seine Dienste als Stadtführer anbietet.

Und so hatte sich an einem Freitagabend ein gutes Dutzend wissbegieriger Leute und dazu noch jemand von der 'Märkischen Allgemeinen' auf dem Marktplatz eingefunden, um zusammen mit Horst Hildenbrand durch die Straßen und Gassen der Stadt zu ziehen.
Der kam auch nicht allein, sondern hatte Unterstützung mitgebracht: Jan (mit der blauen Jacke) und Robin (mit der grünen Jacke), zwei der fünf Nachtwächtergehilfen, die Horst Hildenbrand im Jahr zuvor anlässlich des ersten Altlandsberger Nachtwächtertreffens in ihr Amt eingeführt hat und von denen drei bis jetzt durchgehalten haben.
Auch seine liebe Frau war dabei, die an alles denken muss, was eine nächtliche Tour durch die Stadt erfordert: Taschenlampe, Streichhölzer, Manuskripte usw., und die immer unauffällig zur Stelle ist, wenn eine Souffleuse oder sonstige Unterstützung gefragt ist.

Fester Bestandteil jeder Tour ist eine Bronze-Skulptur mit fünf angeblich hochnäsigen Altlandsbergern. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man auf deren Körpern eingravierte Zeichnungen, kleine plastische Darstellungen und Sprüche zur Geschichte der Stadt. Dafür sollte man sich etwas Zeit nehmen, um einen Einstieg in die Stadtgeschichte zu bekommen. Bestaunt wird die Skulptur nicht nur von den Besuchern, sondern auch von dem Narren, der auf einem Sockel an der Hauswand thront...


Was es mit dieser Anordnung der Figuren auf sich hat, sollte man sich vom Nachtwächter oder seinen Gehilfen erklären lassen. Letztere sind nämlich inzwischen so gut mit der Stadtgeschichte vertraut, dass sie einzelne Teile der Stadtführung übernehmen und bei Bedarf auch mal den Chef vertreten. Inzwischen sind Jan und Robin auch schon so abgehärtet, dass sie selbst bei strömenden Regen Fassung bewahren.

Die Nachtwächtertour durch die Stadt geht weiter vorbei an der Stadtkirche, die leider nachts nicht so schön wie viele Dorfkirchen in der Umgebung beleuchtet wird. Aber ihre Silhouette ist auch bei stockfinsterem, regenverhangenem Himmel zu erkennen und dann vielleicht sogar besonders eindrucksvoll. Und auch die erst im Jahr zuvor wieder hergerichtete und mit einem neuen Adler auf der Spitze geschmückte Säule zur Erinnerung an die Toten des Deutsch-Französichen Krieges von 1870/71 erstrahlte nur im Taschenlampenlicht.

Ein paar Scheinwerfer würden hier gute Dienste leisten können. Wenn in der Stadt so sehr mit Strom gespart wird, ist es ja kein Wunder, dass das 1899 am Bahnhof errichtete Elektrizitätswerk, in dem sich jetzt die Kultur-Manufaktur befindet, schon kurz darauf Pleite gegangen ist.

Da der Nachtwächter nun etwas zu erzählen hatte, was an den Fingern abzuzählen war, musste sich die ganze Gruppe zur nächsten Laterne begeben. Dort erfuhren die Besucher, dass gerade einige Architektur-Studenten aus Boston Konzepte für die künftige Nutzung der (ebenfalls im Stockfinsteren liegenden) ehemaligen Schlosskirche entwickelt und vorgestellt haben. Nach Paris und Rom ist Altlandsberg die dritte Stadt (deshalb die drei Finger!), der solch eine Aufmerksamkeit zuteil wird. Die Konzepte beinhalten die Nutzung der lange Zeit als Werkstatt dienenden Kirche als Konzerthalle, denn im ursprünglichen Zustand soll die Kirche eine hervorragende Akustik besessen haben.

Weiter ging es vorbei an besagter Kirche, die einst Teil des Westflügels des abgebrannten Schlosses war, über den Schloss- und Gutshof und vorbei am Gutshaus, das ganz hervorragend als Kulturhaus hergerichtet wurde und für größere Feiern komplett mit Küche gemietet werden kann.

Und schon stand man im Tor zum Gutshof, das dank einer großzügigen Spende wieder durch zwei venezianische Löwen geschmückt wird. Hier kommt man üblicherweise an, wenn man aus Mehrow kommt. Und dann freut man sich ebenso wie bei diesem Spaziergang im strömenden Regen über die Dame im geblümten Kleid, die freundlich herüber grüßt. Vor einigen Jahren hat Christian Uhlig, ein Künstler aus Angermünde, zehn bunte Figuren geschaffen und über die Stadt verteilt. Diese lustigen Farbkleckse tragen dazu bei, dass die Stadt bei den Besuchern als bunt und fröhlich in Erinnerung bleibt. Von diesem Künster stammt übrigens auch die oben gezeigte Skulptur "Kleinstadtgeschichten".

Weiter ging es entlang der Stadtmauer bis zum "Armenhaus", einer wie ein Museum eingerichteten Gaststätte an der Stadtmauer. Hier, wo einst wirklich die Ärmsten der Stadt wohnten und die Spritzenwagen der Feuerwehr untergestellt waren, hält der Nachtwächter übrigens einmal im Jahr einen Nachtwächterabend ab.


Diesmal wurde nur vor dem Armenhaus Halt gemacht und aufmerksam zugehört, was Robin über die Geschichte dieses Ortes zu berichten hat.

Sein Chef hat derweil mit einem Blech-Kollegen an der nächsten Ecke für die Fotografen Modell gestanden. Damit man beide unterscheiden kann, hat der Künstler übrigens dem unechten Wächter eine rote Laterne verpasst.

Um die Ecke herum hat der echte Nachtwächter dann einen langen Schüssel unter seinem Gewand hervor gezaubert und damit eine Tür im Storchenturm geöffnet. Auch wenn die Tür nicht so richtig stilecht ist: sie erfüllt doch ihren Zweck und schirmt einen Raum ab, in dem früher Gefangene darbten und wo künftig der Nachtwächter seine Mitläufer nach der Tour in gemütlicher Runde versammeln und bewirten kann.

Noch ist es darin ein bisschen kahl und die von offenbar lieblosen Elektrikern angebrachte Installation sieht aus wie aus der BHG, aber das kann ja noch werden ...


Kaum hatten die Jacken angefangen zu trocknen, ging es erneut raus in die Kälte und Nässe. Jetzt standen aber Termine in verschiedenen Hauseinfahrten an, so dass man ab und zu mal die Kapuze abnehmen konnte.

In einer Einfahrt ganz nah am Storchenturm hat der Altlandsberger Künstler Wolfgang Arnold auf einem großen Wandbild seine Sicht auf dieses Stück der Strausberger Straße festgehalten.

Ob der Künstler wirklich alle auf dem Bild verewigten Gestalten schon mal in dieser Straße gesehen hat, ist unbekannt. Das Mädchen mit dem knappen Hemdchen ist ihm vielleicht auch nur in einem schönen Traum begegnet - und die beiden anderen Damen auf dem Bild in weniger schönen Träumen.


Bei der Dame mit dem schlecht sitzenden Hosenanzug glaubte der Stadtführer eine gewisse Ähnlichkeit mit einer bekannten Politikerin gefunden zu haben. Solche Interpretationen sind natürlich jedem freigestellt.

Zweifellos ist das Bild aber eine ganz tolle Momentaufnahme der Straße, die hoffentlich unbekritzelt der Nachwelt erhalten bleibt.


In der nächsten Querstraße gab es dann noch in der Einfahrt ein echtes Holzpflaster zu bewundern, wie man es heutzutage nur noch selten antrifft.


Auf dem Weg zurück zum Marktplatz gab es noch viel zu sehen und zu hören: über das Kloster, das hier einst existierte, über die Schule(n) der Stadt, diverse Rathäuser, die Gaststätten und das Haus, in dem früher der Synagogenraum war.

Inzwischen waren aber durch das üble Wetter Augen und Ohren geschwollen und die Gebeine klapperten bei jedem Schritt auf dem Kopfsteinpflaster, weshalb sich die Gedanken nur noch um heißen Grog und warmen Ofen drehten. Die Jungs, die so gut durchgehalten und hoffentlich noch nicht an Grog gedacht haben, sind zu bewundern.

Der klappernde Reporter ist fest entschlossen, die Tour noch mal mitzumachen und sich dann auch mal ein paar Zahlen, Namen und Fakten zu merken.
Vielleicht sind Sie dann auch mit dabei? Wann die nächste Gelegenheit zu einem solchen Stadtrundgang besteht, erfahren Sie auf der Webseite des Altlandsberger Nachtwächters: www.nachtwaechter-altlandsberg.de.