Über viele Jahrhunderte war es bei den Christen in Europa üblich, wenigstens einmal im Leben auf Pilgerschaft zu gehen. Eine ganz besondere Rolle spielte dabei das Pilgern nach Santiago de Compostela im fernen Galizien, wo der Überlieferung nach die Gebeine des Heiligen Jakobus aufbewahrt werden.
Überall in Europa gab es „Jakobswege“, die letztendlich fast alle in eine Hauptroute mündeten, die von den Pyrenäen entlang der spanischen Nordküste bis nach Santiago de Compostela an der Westküste der iberischen Halbinsel führten.
Diese Tradition des Pilgerns schien lange Zeit ausgestorben und in Vergessenheit geraten zu sein. Aber nach verschiedenen Publikationen und wohl insbesondere nach dem Erscheinen von Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg ...“, in dem er seine Erfahrungen auf dem Jakobsweg beschreibt, ist diese Pilgertradition vielen wieder ins Gedächtnis zurück gekehrt.
Wissenschaftler und Studenten der Frankfurter Europa-Universität „Viadrina“ haben sich nun daran gemacht, anhand alter Aufzeichnungen und Karten zu rekonstruieren, wo in Ostbrandenburg die Wege verliefen, auf denen die Menschen nach Santiago gepilgert sind. Sie haben bisher zwei solcher Wege von Frankfurt nach Berlin wiederentdeckt: Einen über Fürstenwalde und einen weiteren über Müncheberg, Strausberg, Werneuchen, Börnicke und Bernau.
Vom 4. bis 8. Juli hat sich nun eine kleine Pilgergruppe auf den Weg gemacht, um den Weg von Frankfurt über Bernau nach Berlin zu erproben.
In Börnicke, wo man ohnehin sehr bemüht ist, alte Traditionen wieder aufleben zu lassen, hat man sich auf dieses Ereignis gut vorbereitet und für den 8. Juli ein Jacobsfest angesetzt, um die Pilger, die an diesem Tag durch das Dorf kommen mussten, würdig zu empfangen und mit Interessierten, die sich bisher vielleicht selbst nicht auf den Pilgerpfad trauen, zusammen zu bringen.
Der Verein „KulturGut Börnicke“, hat auf dem Schlossgelände einen alten Speicher zu einer sehr ansprechenden Begegnungsstätte ausgebaut und bietet dort eine große Palette kultureller Veranstaltungen.
Leider ist die Webseite www.kulturgut-boernicke.de nicht ganz aktuell ... [und inzwischen (2021) offenbar abgeschaltet]
Für Sonntag, den 8. Juli 2007 war dort nun die
„Börnicker lange Pilgertafel“
angesagt, für die bereits im Vorfeld durch die Medien kräftig die Werbetrommel gerührt wurde.

Im Speicher war eine lange Pilgertafel aufgebaut, ein köstliches Buffet angerichtet und als Nähmaschine getarnt ein Fässlein Börnicker Kräuterschnaps postiert. Die Mitglieder des Vereins „KulturGut Börnicke“ hatten sich wirklich allergrößte Mühe gegeben, die Pilger und Gäste gut und dem Anlass gemäß zu bewirten.

Die Hauptakteure des Tages, die am Morgen in Wesendahl zu ihrer letzten Etappe aufgebrochen waren, ließen aber auf sich warten. Nicht, weil sie sich übernommen hatten, sondern weil sie auch andernorts bei Zwischenstopps auf ihrem Pilgerweg ähnlich herzlich begrüßt wurden.
So blieb es also einige Zeit still auf der Straße vor dem Speicher, wo vor wenigen Wochen der Fernsehfilm „Flucht und Vertreibung“ mit Maria Furtwängler gedreht wurde.
Nach Auskunft einer Bewohnerin musste nicht viel an den Häusern retuschiert werden, um sie optisch in die Kriegstage zurück zu versetzen. Etwas Spray und Folie an den Fenstern reichten oftmals für echte Kriegskulisse aus ...
Ähnlich sieht es noch in einigen Ecken des Schlossgeländes aus, aber hier hat sich schon unglaublich viel getan. Verschiedene Vereine mühen sich emsig, das Grundstück ansehnlich zu machen und die alten Gebäude möglichst originalgetreu wieder herzustellen und einer sinnvollen Nutzung zuzuführen.
Wem es an diesem wunderschönen Sommertag draußen zu warm war, der fand im geschmackvoll geschmückten Saal des Kulturspeichers nicht nur Erfrischung, sondern auch einiges fürs Auge und fürs Ohr.
Der freischaffende Maler Ekkehard Koch, Jahrgang 1956, der selbst schon mehrmals auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien unterwegs war, hatte die Wände des Speichers mit Bildern dekoriert, die während seiner Pilgerreisen entstanden sind.
Es waren einige großformatige Bilder und jede Menge Skizzen und Bilder im Postkartenformat, denn solche lassen sich natürlich auf Pilgerfahrt viel leichter anfertigen und transportieren.
Wer selbst schon auf dem Jakobsweg unterwegs war, hat sicher manches Panorama und manche Kirche wiedererkannt und deren stimmungsvolle Wiedergabe bewundert.
Für alle anderen war die Ausstellung bestimmt ein zusätzlicher Anreiz, sich diese abwechslungsreiche Gegend mit ihrer vielfältigen Kultur selbst mal anzusehen.
Zwei Musikanten mit Gitarre und mittelalterlichen Instrumenten haben die Besucher derweil akustisch unterhalten. Die teilweise aus dem Mittelalter stammenden Stücke passten sehr gut zum Anlass und gaben dem Nachmittag eine ganz besonders ansprechende Atmosphäre.
Dann war aber endlich das Warten vorbei: Spähtrupps hatten die ersten Pilger an der Hauptstraße ausgemacht und wenig später trafen sie am Speicher ein, wo sie mit Beifall und lobenden Worten empfangen wurden.
Viele aus dem Begrüßungs­kommando waren mit den Pilgern bekannt und so stellte sich schnell eine sehr familiäre Stimmung ein.
Die Pilger waren über den herzlichen Empfang sichtlich erfreut.
Während die letzten eintrudelten, hatten die ersten schon die Socken gewechselt und andere bereits für ein Pilgerfoto Aufstellung genommen.
Die Pilger konnten sich nun erstmal auf das von Vereinsmitgliedern sehr lecker hergerichtete Buffet stürzen und es sich an der „langen Pilgertafel“ bequem machen, um sich von den Strapazen der Pilgeretappe zu erholen.
Martin Dexheimer, auf den wir noch zu sprechen kommen, hatte extra „Camino“-Wein („Camino“ ist der spanische Name des Jakobsweges) aus der spanischen La Mancha heran geschafft und ließ es sich nicht nehmen, mit Lobreden auf dieses feine Getränk eigenhändig auszuschenken.
Sein Hund musterte inzwischen die Pilger und fragte sich, ob die es auch bis Santiago schaffen würden ...
Martin Dexheimer, der einige Zeit im Bernauer Jugendklub „Dosto“ tätig war, ist nämlich vor ein paar Jahren zusammen mit seiner damals zehnjährigen Hündin Suse den ganzen „Camino“ von den Pyrenäen bis nach Santiago de Compostela gelaufen.
In einem kleinen, sehr kurzweilig geschriebenen, im Arrival-Verlag erschienenen Büchlein „Dos Peregrinos“ („Zwei Pilger“) beschreibt er nicht nur seine Eindrücke während der Pilgerreise, sondern auch seine Probleme, die sich daraus ergaben, dass er mit seinem struppigen Begleiter unterwegs war.
Nicht dass der gebockt hätte - im Gegenteil, der hat sich nichts anmerken lassen und ist tapfer gelaufen. Aber die Pilgerherbergen auf dem Weg lassen keine Hunde rein, weshalb die Beiden oft im Freien campieren mussten. Außerdem sind die herumstreunenden Hunde entlang des Weges berüchtigt und nicht so leicht davon zu überzeugen, dass auch Vierbeiner ein Recht zu pilgern haben.
Bevor die Pilger weiterziehen mussten (es war die Kirche zu besuchen und weiter nach Bernau zu laufen), gab es noch offizielle Begrüßungsworte von der Vorsitzenden des Vereins „KulturGut Börnicke e.V.“, Gabriele Koch, von der Ortsteil­bürgermeisterin und vom Bernauer Bürgermeister Handke.
Alle drei würdigten die Tatsache, dass sich Menschen auf den Weg machen, um nicht nur was für die Gesundheit zu tun, sondern in Gemeinschaft Erfahrungen zu sammeln und zugleich eine uralte, gute Tradition wieder aufleben zu lassen.
In der Dorfkirche hat ein Herr aus der Kirchengemeinde kurz die Geschichte, die Architektur und die Ausstattung der Kirche erklärt und darauf verwiesen, dass Herr Koch mit dazu beigetragen hat, dass die Kirche so gut ausgestattet ist.
Herr Ekkehard Koch, der viele Jahre Restaurator am Märkischen Museum war, hat nämlich der Börnicker Dorfkirche zwei wertvolle Gemälde, die aus einer zu DDR-Zeiten abgerissenen Kirche stammten und im Museums-Depot verstaubten, als Dauerleihgabe verschafft.
Von ihm stammt auch eine kleine (temporäre) Ausstellung über der Jakobsweg im Vorraum der Kirche, in der er mit erklärendem Text, Karten, vielen Bildern und persönlichen Erinnerungsstücken den Jakobsweg beschreibt und nachvollziehbar macht.
Ein besonderes Highlight sind dabei die Urkunden, die belegen, dass er den „Camino“ bis zum Ziel gelaufen ist und (wie der Pilgerpass ausweist) standesgemäß in Herbergen am Weg genächtigt hat.
Wie groß inzwischen das Interesse am Jakobsweg ist, hat sich nicht nur in der Besucherzahl bei der „langen Pilgertafel“ gezeigt, sondern auch darin, dass neben der Presse auch ein lokaler Fernsehsender da war und berichtet hat.
Wer nun Lust bekommen hat, sich selbst auch mal auf den Camino zu begeben, der sollte sich aber zuvor die Entfernungen, die warnend am Kultus-Speicher aushingen, vergegenwärtigen:
Unsere Pilgergruppe hat in fünf Tagen von Frankfurt bis Börnicke 98 Kilometer zurückgelegt und hatte noch 4 km bis Bernau vor sich. Bis Santiago sind es 2799 Kilometer (!), wovon etwa 800 Kilometer auf den Hauptweg von den Pyrenäen bis zum Ziel fallen...
Entfernungen (von Börnicke)
Santiago de Compostela 2799 km
Burgos 2281 km
Kloster Irache (Weinquelle) 2084 km
Pamplona 2036 km
Roncesvalles 1991 km
Saint Jean Pied de Port 1959 km
Le Puy 997 km
Bad Wilsnack 150 km
Frankfurt / Oder 98 km
Müncheberg 50 km
Wesendahl 17 km
Bernau 4 km
Na, dann bis bald auf dem Platz vor der Kathedrale in Santiago de Compostela!